Lehren aus Westbegalen
Spätestens mit der Digitalisierung sind neue Formen von Arbeitsverhältnissen entstanden – schlechter geregelt und abgesichert sowie stärker vereinzelt. Die traditionsreichen deutschen Gewerkschaften tun sich schwer mit diesem Wandel. Der Blick nach Indien kann wichtige Impulse geben, wie Siavash Valizadeh bei einer Reise nach Westbengalen feststellte.
In der digitalisierten und globalisierten Arbeitswelt stehen Gewerkschaften vor neuen Herausforderungen. Eine aktuelle Untersuchung von WZB-Forscher Siavash Valizadeh zeigt, dass der Umgang von indischen Gewerkschaften mit informellen Arbeitsverhältnissen wichtige Impulse für die Ausrichtung der deutschen Gewerkschaften bieten kann. Deutlich wird: Die traditionellen Strukturen und Strategien der Gewerkschaften sollten neu gedacht werden, um effektiv auf die dynamischen Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren.
In Westbengalen, einem Bundestaat in Indien, sind rund 90 Prozent der Beschäftigung informell und von unzureichenden Regelungen geprägt – das bedeutet großen Handlungsbedarf für die dortigen Gewerkschaften, deren Mobilisierungsstrategien Siavash Valizadeh untersucht hat. Sie haben sich darauf spezialisiert, informell beschäftigte Menschen nicht nur durch Verhandlungen mit Arbeitgebern, sondern auch durch aktive Teilnahme am Alltagsleben der Arbeiter*innen zu unterstützen. Das fördert das Gefühl der Gemeinschaft und ermöglicht es den Gewerkschaften, sich für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Deutsche Gewerkschaften müssen umdenken
Informelle Arbeit – inklusive unbezahlter Sorgearbeit – nimmt auch in Deutschland zu. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung könnte von den Erfahrungen indischer Gewerkschaften lernen: Diese setzen auf lokale Netzwerke und persönliche Kontakte, um Arbeitnehmer*innen in fragmentierten Arbeitsverhältnissen zu mobilisieren.
Die neue Arbeitswelt mitgestalten
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Gewerkschaften in Westbengalen erfolgreich in der Lage sind, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten, unabhängig von der Form ihrer Beschäftigung. Angesichts der schnelllebigen Arbeitsverhältnisse wäre es auch für deutsche Gewerkschaften wichtig, über ihr traditionelles Modell hinausdenken. Es gilt, die politischen und sozialen Themen, die alle Beschäftigten betreffen, miteinander zu verbinden und eine inklusive Gewerkschaftsbewegung zu fördern, die divers und dynamisch ist. Die Einsichten aus Indien verdeutlichen, dass Gewerkschaften nicht nur bei der Arbeitsplatzsicherung, sondern auch bei der Schaffung eines stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalts eine entscheidende Rolle spielen können.
Siavash Valizadeh arbeitet und forscht im Promotionskolleg „Gute Arbeit in einer transformativen Welt“ am WZB.
Ein Beitrag über seine Studie zu Gewerkschaften in Westbengalen ist im Septemberheft 2024 der WZB-Mitteilungen erschienen.
Das Aufmacherbild hat Siavash Valizadeh in einem Gewerbschaftsbüro in Westbengalen aufgenommen. Es zeigt das lokale Büro der CPI (Communist Party of India) in Kolkata – hier trifft sich auch die gewerkschaftliche Organisation der Bauarbeiter der Stadt.
8.11.24