Falko Blumenthal IG Metall
Falko Blumenthal IG Metall

Herausgeforderte Mitbestimmung in der Energiewende

Die ‚Energiewende‘ markiert seit den 1980ern politische, wirtschaftliche, industrielle, wissenschaftliche und sozio-kulturelle Anstrengungen, um der Erderwärmung durch Dekarbonisierung zu begegnen. Sie ist somit ein politischer Sammelbegriff, mit dem seine Vertreter*innen versuchen, im Kontext einer ‚Klimawende‘ einen gesamtheitlichen Ansatz aus den verschiedenen Verhaltens- und Handlungsebenen zu formulieren. Doch obwohl die Ziele der Energiewende – Internalisierung der wahren Energiekosten in der Ökonomie, Energieeffizienz in der Produktion und Energiesuffizienz aufseiten der institutionellen und privaten Verbraucher*innen – sehr präsent sind, erreicht Deutschland seit 1990 nur langsam sinkende Kohlenstoffemissionen. Währenddessen steigt der weltweite Verbrauch weiter an.

Die Energiewende ist auf alle Politikfelder, einschließlich der betrieblichen Mitbestimmung, angewiesen. Dabei bilden Beschäftigte, ihre Betriebsräte und die Gewerkschaften eine uneinheitliche Gemengelage. Anhand von drei Fällen mitbestimmter Betriebe in der Energiewende lassen sich zwei Ebenen plausibel machen: Die Akteur*innen der Mitbestimmung sind in der Lage, Promotor*innen der Energiewende zu sein. Diese, in Deutschland vor allem in Gesetzen und Institutionen verfasste, Mitbestimmung ist jedoch in ihrer Substanz herausgefordert.

Gewerkschaften und Betriebsräte in der Transformation

Die Gewerkschaften verfolgen in der Energiewende eine bidirektionale Strategie: Gegenüber dem politischen System bestehen sie darauf, dass diese in eine sozial-ökologische Transformation eingebettet wird, in der auch die Interessen der Beschäftigten vertreten werden. Materiell und politisch soll sowohl der Strukturwandel von Regionen, die von fossiler Energie abhängen, als auch die Ansiedelung nichtfossiler Industrie subventioniert werden. Durch kontrollierte Betriebsschließungen, Transferleistungen und Qualifizierung sollen auch die sozialen Kosten zumindest teilweise an ihre Verursacher*innen zurückgelenkt werden. Gegenüber ihren Mitgliedern und den Betriebsräten orientieren die Gewerkschaften darauf, die sozial-ökologische Transformation als Chance zum Mitgestalten und Mitbestimmen zu verstehen. Gleichzeitig formulieren sie diese als übergreifendes Programm, mit dem die Gewerkschaften nicht mehr nur ausschließlich die soziale und rechtliche Gestaltung der Arbeitsverhältnisse anstreben. Stattdessen sollen gewerkschaftliche Kämpfe sämtliche Arbeits- und Lebensverhältnisse zum Inhalt haben und diese – auch um die Depolitisierung der Mitgliedschaft zu überwinden – repolitisieren, wie die Kooperation von Fridays for Future mit ver.di in der Tarifrunde Nahverkehr 2023 eindrucksvoll zeigt.

Die Meinungen und Interessenlagen der Beschäftigten zur Energiewende sind dabei nicht einheitlich: Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder sind Spiegel ihrer jeweiligen sozialen Gruppen und Regionen. In den Betrieben navigieren Betriebsräte entlang der engen Gestaltungsmöglichkeiten, die ihnen bei gesetzten unternehmerischen Entscheidungen bleiben. Die schärfste Konsequenz hieraus ziehen Markus Wissen und Ulrich Brand, die argumentieren, dass Beschäftigte und Gewerkschaften des Globalen Norden in ihrer Gesamtheit aufgrund ihrer Einbettung in die Interessen der fossilen Industrie keine Verbündeten einer ökologischen Transformation sein können. Die Gewerkschaften könnten hier nur, ähnlich wie NGOs, für ökologische Ziele werben ohne ihre Mitglieder für deren Durchsetzung mobilisieren zu können. Gegen diesen Blick stemmt sich eine sozialistische Publizistik, die auf die Organisierung der Beschäftigten von Solarindustrie bis zu fossilen Betrieben in der Transformation setzt und auf geteilte Interessenslagen baut: Das Interesse an stabilen Arbeitsplätzen in der Windenergie und an Umschulung von fossilen Beschäftigten für Zukunftstechnik und kreislaufwirtschaftliche Tätigkeiten korrelierten schließlich mit den Zielen der Energiewende.

Diese Neuformulierung des self-interest well understood findet sich auch in gewerkschaftsnahen Überlegungen wieder, die neben der Klimapolitik als Verteilungsfrage und der Vernetzung von Gewerkschafts- und Klimabewegung auf die Verknüpfung von Produktions- und Lebensweise setzen. Allerdings ist diese Verknüpfung bislang – trotz der mehr als fünzigjährigen Geschichte der gewerkschaftlichen Umweltpolitikvon einzelnen, im Folgenden herausgehobenen, Beispielen abgesehen, nicht erfolgreich.

Das liegt auch daran, dass die Beschäftigten in der erneuerbaren Energiegewinnung selten Betriebsräte und Tarifverträge haben. Die ersten Erfolge der Organisierung, etwa im Windradbau, werden durch die Verlagerung der Produktion wieder zunichtegemacht. Betriebsräte aus Energie-Startups haben auf den Delegiertenversammlungen der Gewerkschaften noch den Exotenstatus. Die betriebliche Mitbestimmung in ihrer Doppelfunktion als Transmissionsriemen für Informationen und Positionen als auch als Grundpfeiler materiell wirksamer Demokratie ist jedoch notwendiges Handlungsfeld für eine gelingende Energiewende. Näher an ihren Wählerschaften als die Kommunalpolitik, demokratischer legitimiert als Lobbyismus und Verbände, sind Betriebsräte die gesetzlich verankerte Chance auf Gegenmacht der Gesellschaft gegen die finanziellen Interessen der Minderheit, die im Besitz der fossilen Produktionsmittel ist.

Das Ende fossiler Energie gestalten

Der Betriebsrat der Grosskraftwerk Mannheim AG wurde für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2022 nominiert: Ver.di und Betriebsrat erreichten in der Verschränkung von gewerkschaftlicher Tarifpolitik und betriebsverfassungsrechtlichem Sozialplan einen sozialverträglichen Fahrplan zur Schließung des Kraftwerks 2030. Im Gegenzug für zurückhaltende Gehaltsforderungen hat ver.di dort 2016 ein Mitbestimmungsrecht in der qualitativen Personalplanung per Tarifvertrag durchgesetzt. Auf Basis dieses politischen Instruments als auch durch den Druck des Arbeitgebers, die Versorgung Mannheims bis zur Schließung aufrechterhalten zu müssen, erreichten ver.di und Betriebsrat einen Sozialplan, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt und gleichwertige Weiterbeschäftigung der Belegschaft bis zum Renteneintritt, auch über den Schließungstermin hinaus, garantiert. Ältere Beschäftigte gehen in Rente, Jüngere werden weiterqualifiziert und weitervermittelt.

Gegnern der Energiewende und ihrer – auch in gewerkschaftlichen Strukturen durchaus lebendigen – Rhetorik des „politisch beschlossenen Ausstieg aus der Kohleverstromung“ wird in der Region Mannheim so der Wind aus den Segeln genommen, diese koste mitbestimmte und tariflich erfasste Arbeitsplätze. Die Forderung des Betriebsrats, das Werk auf Zukunftstechnologien umzustellen und so Betrieb und Belegschaft über 2030 hinaus zu erhalten, bleibt jedoch nicht erzwingbare Forderung. Schuld daran ist ein grundlegender Fehler in der Architektur des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952: Es schließt Beschäftigte von der Unternehmens- und Branchenmitbestimmung aus und reduziert die Produktionsmitbestimmung auf ein „Vorschlagswesen“.

Prekäre Mitbestimmung in der Transformation

Das Rohrwerk Maxhütte, historisch eine Ausgründung des 2002 geschlossenen Stahlwerks Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg, ging 2020/21 in die Insolvenz. Der Betriebsratsvorsitzende Karl-Heinz König wurde von Technikern des Rohrwerks angesprochen, die ein eigenes Konzept für „grünen“ Stahl ohne Erdgas erarbeitet hatten. Der Plan umfasst die Aufgabe der erdgasbetriebenen Öfen, die 24/7 durchheizen müssen um die für die Verarbeitung von Stahl notwendigen Temperaturen zu erreichen. Stattdessen soll der Stahl durch Induktion und Solarstrom erhitzt werden. Die so produzierten Röhren wären unter anderem auch für den Aufbau von Wasserstoffinfrastruktur geeignet.

Mit Unterstützung der IG Metall konnte das Konzept betrieblich, politisch und medial erfolgreich vorgestellt werden. Auch konnte ein Investor gefunden werden, der unter Zusicherung von Unterstützung durch das bayerische Wirtschaftsministerium den Betrieb und die Belegschaft übernahm. Insbesondere die eigene Arbeitskampferfahrung der Belegschaft über viele Jahre scheint eigenständiges Handeln des Betriebsrats und die Abwendung der Schließung 2022 zu ermöglichen.  2023 stand der Betrieb jedoch wieder vor einer möglichen Insolvenz, nachdem die Bayerische Landesbank entgegen der industriepolitischen Linie der Staatsregierung eine Investition in energieintensive Unternehmen ablehnt. Trotz der erneuten Enttäuschung fanden die Stakeholder einen neuen Investor. Der Fall Maxhütte macht die Bedeutung von lokaler politischer Tradition, hier die gewerkschaftliche und linke Erfahrung, und der Einbindung von technischem Wissen der Belegschaft sichtbar. Insbesondere geht von diesen vereinzelten betrieblichen Kämpfen, in denen Belegschaften ihr technisches Wissen mit ihrer Befähigung zur politischen Aktion kombinieren,  ein Signal für die Energiewende aus, die nicht nur „EU-Klimapolitik“ von oben ist, sondern auch den „Hebel der ökologischen Wende“ in den Händen der Gesellschaft sieht.

Prekär bleibt Mitbestimmung in der Bundesrepublik nicht nur unter dem Druck von in Quartalen denkenden Finanzierungsagenturen, die Verantwortung für mehrjährige Projekte der Energiewende übernehmen sollen. Auch sind trilaterale Verträge der Betriebsparteien unter Einbezug der öffentlichen Garantiegeber in der Mitbestimmungstradition der Bundesrepublik stark unterentwickelt: Rechtskräftige Vereinbarungen zwischen Staat, Gewerkschaft und Unternehmen, wie etwa in den USA aber auch in Frankreich, sind in Deutschland selten. Ein weiteres Problem stellt die ordoliberale Tradition in der Bundesrepublik dar, die aktive Industriepolitik des Staates nur in Ausnahmefällen zulassen möchte. Diese politisch motivierte Zurückhaltung der öffentlich-rechtlichen Akteur*innen, selbst als wirtschaftliche Unternehmungen aufzutreten oder sich auch nur an ihnen operativ zu beteiligen, verweigert sich selbst den von den Vereinten Nationen vorgeschlagenenen multi-stakeholder partnerships.

Transformation der Mitbestimmung in der Energiewende

Neben der Erzeugung von erneuerbarer Energie birgt der Transport von erneuerbarem und damit dezentral erzeugtem Strom große Herausforderungen im Gegensatz zu klassischen Kraftwerken, die durch die Verkehrsnetze angebunden werden können. Die Übertragungsnetze sind unter vier Konzernen aufgeteilt, unter ihnen die von einer Tradition der Mitbestimmung geprägte 50Hertz GmbH mit ihren über 10.000 Kilometern Stromnetz.

Heute im Besitz des belgischen Netzbetreibers Elia, stammt 50Hertz aus dem Vattenfall-Netz, das wiederum auf die volkseigenen Energiekombinate der DDR zurückgeht. Das Unternehmen setzt, auch im Branchenvergleich, stark auf sozialpartnerschaftliche Strukturen und ein gutes Verhältnis zur IG BCE. Der einerseits stark von politischen und rechtlichen Vorgaben, andererseits überdurchschnittlich von wissensbasierter Arbeit abhängige Arbeitgeber ist durch den Fachkräftemangel und durch die rasche Veränderung der Anforderungen der Beschäftigten an gute Arbeit herausgefordert.

Auch der Betriebsrat steht vor der Herausforderung, eine Betriebspolitik für die jungen, mobilen und hochqualifizierten Beschäftigten zu entwickeln. Das Unternehmen hat zwar einen freiwillig paritätisch besetzten Aufsichtsrat, Betriebspolitiker*innen auf Arbeitnehmerseite mit Erfahrungen aus BRD, DDR und den Transformationen der letzten Jahrzehnte und eine gelebte Tradition in der IG BCE. Diese gilt es jedoch für die nächste Generation im Unternehmen zu übersetzen. Der Betriebsrat ist nicht nur darauf angewiesen, die Belegschaft und ihre Motivation jeden Tag neu für das Unternehmen zu gewinnen. Auch die Gestaltungsmacht des Betriebsrats ist von der Unterstützung durch die Beschäftigten abhängig. Mit dem Beteiligungsprojekt „Modernes Arbeiten bei 50Hertz“ sollte 2021 dieser Herausforderung begegnet werden.

Ergebnis der Workshops, Arbeitsgruppen und Beratungen des Projekts sind einerseits Formate für bessere Zusammenarbeit und Innovationen wie „The Nest“ als Freiraum. Andererseits haben die intensiven Beratungen und Diskussionen in der Belegschaft auch die Bereitschaft erhöht, selbst im Betriebsrat mitzuarbeiten. Basis ist die Vereinbarung „Moderne Arbeitswelten“ von Unternehmen und Gewerkschaft. Neben der Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten und der Einführung von Experimentierlaboren, ist ein intensives Programm zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einschließlich der psychischen Belastungen am innovationsgetriebenen, die Beschäftigten stark fordernden High Frequency-Arbeitsplatz geplant.

Eine jahrzehntelang verankerte gewerkschaftliche Identität und ein Betriebsrat mit weitreichenden Netzwerken und Qualifikationen ist kein Garant, aber Chance auf Transformation. Das geteilte Interesse zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat, ihre Fachkräfte und damit die Kernakteur*innen der Energiewende zu halten und zu begeistern, verbessert diese Chance. Sie zu nutzen beinhaltet jedoch nicht nur institutionelle Ressourcen, sondern auch, dass sich der Betriebsrat Partizipationsmethoden und Prozesse aus dem Change Management aneignet. Eine weiterhin mitbestimmte 50 Hertz und damit eine mitbestimmte Energiewende hängt jedoch auch am Generationswechsel: Die hochqualifizierten Beschäftigten sind oft nicht bereit, ihre fachliche Karriere zugunsten eines Engagements im Betriebsrat aufzugeben. Weiterhin stehen Gewerkschaft und Betriebsrat vor der themen- und projektorientierten, oft kurzzeitigen Partizipationsbereitschaft der Beschäftigten.

Transformation des Handlungsfelds Mitbestimmung

Das Phänomen von ökologisch, sozial und politisch mobilisierbaren Zielgruppen, die jedoch wenig institutionalisierte Politikformen und niedrige Organisierungsgrade aufweisen, versucht Anton Jäger als Hyperpolitik zu fassen: Alle Lebensbereiche und die digitalisierte Kommunikation in der Gesellschaft scheinen politisiert zu sein, während der breiten Bevölkerung politisches Handeln jedoch unmöglich oder wirkungslos erscheint. Während monatlich weitere Kipppunkte der planetaren Grenzen erreicht, und Politikformen des 20. Jahrhunderts grundsätzlich infrage gestellt werden, werden Betriebsräte alle vier Jahre in festen Konstellationen gewählt. Während existierende Arbeitskampferfahrungen von Belegschaften mit gewerkschaftlicher Tradition die Grundlage für Transformation sein können, scheint der Aufbau von Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit in breiten Teilen der Belegschaften der von hochqualifizierter Arbeit geprägten Branchen schwer vorstellbar. Partizipative, agile Betriebsratsarbeit kann eine Antwort auf das Dilemma der Hyperpolitik sein. Diese reicht jedoch für sich genommen nicht aus, eine über den jeweiligen Betrieb und die Branche hinausreichende, genuin gewerkschaftliche Perspektive denkbar zu machen. Genau diese ist jedoch notwendig, um das von der Tagespolitik abhängige, prekäre Langzeitprojekt Energiewende durch eine demokratische Gestaltungsmacht zu stabilisieren.

20.11.2023

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Falko Blumenthal
Falko Blumenthal

Falko Blumenthal berät Betriebsräte mit dem Schwerpunkt ICT und Hochtechnologie in München. Nach Stationen in Helsinki, Riga, Hamburg und im Ruhrgebiet ist er seit 2021 bei der IG Metall. Neben seiner Arbeit als Projektsekretär unterrichtet er Betriebsverfassungsrecht und politische Bildung in der Betriebsräteakademie Bayern und ist Aufsichtsratsmitglied der Fujitsu Technology Solutions GmbH.