Herausforderer von allen Seiten
AfD, BSW und Die Linke und ihre programmatischen Positionen zur Bundestagswahl 2025
Die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag am 23. Februar 2025 ist besonders: Eine vorgezogene Neuwahl, sieben Monate früher als geplant. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition im November und der verlorenen Vertrauensfrage von Kanzler Scholz im Dezember setzte Bundespräsident Steinmeier die Wahl für Februar an. Der verkürzte Wahlkampf von nur zwei Monaten stellt Parteien, aber auch die Politikwissenschaft, vor große Herausforderungen.
Im Manifesto-Projekt am WZB und der Universität Göttingen analysieren wir, welche politischen Ziele eine Partei verfolgt und kodieren dafür jede Aussage in den Wahlprogrammen. Anders als sonst haben die Parteien ihre Wahlprogramme dieses Jahr erst wenige Wochen vor dem Wahltermin veröffentlicht. Deshalb greifen wir für unsere Analysen auf eine automatisierte Klassifizierung durch unser eigens entwickeltes manifestoberta-Modell zurück, das jedem Satz eine von 56 substanziellen Kategorien zuordnet. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die drei „Herausfordererparteien“, die bisher noch nie Teil einer Bundesregierung waren, aber eine realistische Chance haben, in den Bundestag einzuziehen: die Alternative für Deutschland (AfD), das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und Die Linke. Wir analysieren, wo die Parteien stehen, wie sich ihre Positionen im Vergleich zu früheren Wahlen verändert haben und welche Schwerpunktthemen sie in ihren aktuellen Wahlprogrammen setzen.
Die Herausfordererparteien im deutschen Parteienspektrum
Parteien und ihre Positionen werden üblicherweise entlang einer eindimensionalen Links-Rechts-Achse verortet. Diese Einordnung kann anhand der Häufigkeit linker und rechter Themen in ihren Wahlprogrammen erfolgen. Da soziokulturelle Themen zunehmend wahlentscheidend sind, ermöglicht eine zweidimensionale Darstellung mit einer zusätzlichen kulturellen Achse (Abb. 1) eine präzisere Analyse:
Die sozioökonomische Dimension beschreibt das Verhältnis von Markt und Staat. Eine rechte Position steht hier für weniger staatliche Eingriffe, Schuldenabbau und den Rückbau des Wohlfahrtsstaates, während eine linke Position Marktregulierungen oder den Ausbau sozialer Sicherungssysteme betont. Die soziokulturelle Dimension unterscheidet zwischen konservativ-autoritärer Betonung von nationaler Identität, traditionellen Moralvorstellungen und Ablehnung von Multikulturalismus und der progressiven Position, die sich für Demokratie, Werte wie Geschlechtergleichstellung, multikulturelle Offenheit und die Ablehnung von Nationalismus einsetzt.
Wie sind 2025 nun Linke, BSW, und AfD in diesem Spektrum verortet (Abb. 1)? Die AfD nimmt auf beiden Achsen eine weit rechts stehende Position ein: Sie ist nicht nur gesellschaftspolitisch konservativ, sondern auch klar wirtschaftsliberal. Den Gegenpol bildet Die Linke, die sich für eine stärkere Regulierung des Marktes ausspricht und gesellschaftspolitisch die liberal-progressivsten Positionen einnimmt. Das BSW nimmt wirtschaftspolitisch eine moderat linke Position ein, die sich jedoch deutlich marktfreundlicher als diejenige der Linken zeigt. Auch gesellschaftspolitisch verortet es sich mittig bis konservativ.
Während das BSW 2025 zum ersten Mal antritt, ist es interessant, auf die Veränderungen der Linken und der AfD im Vergleich zu den letzten Bundestagswahlen zu schauen: Abbildung 2 zeigt die Veränderungen der Parteienpositionierung in der Gesellschaftspolitik über die Zeit. Bei der AfD zeigt sich von 2013 zu 2017 die drastische Neupositionierung zur rechtspopulistischen Partei, die das Thema Migration ganz oben auf die Agenda setzt. Seither verschiebt sich ihre Position hier insgesamt geringfügig, was jedoch darauf zurückzuführen ist, dass sie ihr Programm immer stärker auch auf anderen Themen ausweitet, während sich ihre grundsätzliche Haltung zu Migration, Vielfalt, und Demokratie nicht merkbar ändert.
Die Linke unterscheidet sich gesellschaftspolitisch am deutlichsten von der AfD. Auch sie bewegt sich über die Zeit leicht zur Mitte hin, was bei der Linken jedoch durch eine stärkere Fokussierung auf Wirtschaftspolitik entsteht: 2025 nahmen gesellschaftspolitische Themen weniger als 10 Prozent ihres Wahlprogramms ein. Dennoch nimmt Die Linke im deutschen Parteienspektrum aktuell die am deutlichsten universalistische Position ein.
In Bezug auf Marktliberalisierung versus Marktregulierung und Sozialstaat (Abb. 3) bildet das Programm der Linken 2025 das am stärksten wirtschaftspolitisch links ausgerichtete Wahlprogramm seit 2017 – Die Linke stellt Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit klar in den Vordergrund. Die Position des BSW zeigt hier, dass der Bruch mit der Linkspartei nicht nur anhand der Themen Migration oder Friedenspolitik festzumachen ist, sondern dem BSW auch eine deutlich mehr am Markt und weniger an Umverteilung orientierte Wirtschaftspolitik vorschwebt. Die AfD nimmt mittlerweile knapp hinter der FDP die marktliberalste Position im deutschen Parteienspektrum ein und fordert in ihrem Programm „Vorrang für den Wettbewerb“ (S. 13). Politische Positionen zugunsten ökonomisch schlechter gestellter Bevölkerungsgruppen spielen bei ihr so gut wie keine Rolle oder werden in Frage gestellt.
Die Linke und das BSW – ein Blick in die Prioritätensetzung der Parteien
Sowohl Die Linke als auch das BSW setzen im Wahlkampf vorrangig auf klassisch linke Themen (Abb. 4). Das zeigt sich auf der sozioökonomischen Dimension: Die Linke macht mit knapp einem Sechstel ihrer Aussagen im Wahlprogramm Gleichheit zu ihrem Hauptthema und das BSW mit gut einem Zehntel den Sozialstaatsausbau. Das lässt vermuten, dass Die Linke eher auf den universellen Wert der Gleichheit setzt, während das BSW eher dahin tendiert, Ungleichheiten zu kompensieren. Der genauere Blick in die Wahlprogramme verrät, dass beide Parteien verstärkt die ökonomische Ungleichheit als Problem adressieren und andere Diskriminierungen in den Hintergrund stellen.
Daneben gibt es jedoch auch zentrale Unterschiede: Während Die Linke den Gewerkschaften treu bleibt und Arbeitnehmer*innenrechte am vierthäufigsten erwähnt, gehören sie für das BSW nicht unter die Top-10-Themen. Auch in Klimafragen unterscheiden sich die Ausrichtungen beider Parteien: Im Wahlprogramm der Linken besetzt der Klimaschutz den fünften Platz und wird stark an Ungleichheit geknüpft: „Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören für uns untrennbar zusammen: Ohne soziale Gerechtigkeit hat die Mehrheit gar keine Möglichkeit, Klimaschutz im Alltag umzusetzen“ (S. 29). Im Programm des BSWs gehört Klima nicht zu den Top-10-Themen. Stattdessen spielt hier das Themenfeld „Technologie und Infrastruktur“ eine weitaus wichtigere Rolle als bei den Linken (BSW: Platz 2; Die Linke: Platz 6). Exemplarisch für diese Divergenzen steht der folgende Satz aus dem BSW-Programm: „Statt auf den CO2 Preis zu setzen, wollen wir den technologischen Wandel durch die Förderung von Innovation und gezielt gesetzte Anreize ermöglichen“ (S. 10). Hier steht also Technologieoffenheit sozial ausgleichendem Klimaschutz gegenüber.
Eine weitere signifikante Differenz tut sich bei der Betrachtung der Forderungen nach äußerer und innerer Sicherheit auf: Wie in öffentlichen Debatten lautstark geäußert, setzt sich das BSW auch in seinem Wahlprogramm für eine Abrüstungspolitik ein und macht es zum viertwichtigsten Thema. Für Die Linke gehört Abrüstung nicht zu den Top-10-Themen, die sich im Verhältnis zu anderen Parteien aber trotzdem stärker für Frieden und Abrüstung aussprechen. Anders als bei der äußeren Sicherheit, spricht sich das BSW bei der inneren Sicherheit für ein Aufrüsten aus. Hier plädiert das BSW klar für eine Politik von „Recht und Ordnung“. Wiederum ein Unterschied zur Partei Die Linke, die diese Themen weniger betont: Für das BSW ist es in ihrem Wahlprogramm das zehntwichtigste Thema, wohingegen es für Die Linke nur auf Platz 15 steht. Auch die Akzentuierung der angesprochenen Probleme unterscheidet sich. Das BSW-Wahlprogramm stellt Sicherheit in einen Zusammenhang mit Migration: „Die naive Aufnahmepraxis der letzten Jahre hat sich bereits in einem weit überproportionalen Anstieg von Messerkriminalität, Sexualdelikten und religiös motiviertem Terrorismus bemerkbar gemacht“ (S. 36). Die Linke verknüpft diese beiden Themen nicht miteinander.
Wohin steuert die AfD?
Für die AfD (Abb. 5) ist das Kernthema nach wie vor die „Förderung nationaler Lebensweise“, was Nationalismus, Patriotismus, und die Ablehnung von Einwanderung und Multikulturalität einschließt („Ein Volk ohne Nationalbewusstsein kann auf die Dauer nicht bestehen“, S. 171). Hier unterscheidet sie sich vom BSW, das sich zwar beispielsweise auch für eine verschärfte Abschiebepraxis ausspricht, diese jedoch weniger unter kulturell-nationalistischen Gesichtspunkten und stärker im Rahmen einer Betonung von „Recht und Gesetz“ (S. 37) diskutiert. Traditionelle Werte (Platz 2) gehören ebenfalls zu den Themen, denen die AfD klassischerweise viel Raum gibt („Die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, ist die Keimzelle der Gesellschaft“, S. 144). Auf Platz 3 der häufigsten Themen landet bei der AfD das Thema „Freiheit und Menschenrechte“. In diese Kategorie fallen vor allem die Freiheit der einzelnen Person gegenüber Eingriffen des Staates sowie Vorstellungen von Individualismus und Eigenverantwortung. Bei der AfD schließt dies etwa die Ablehnung der Impflicht („Impfnötigung“ S. 32) sowie eine Stärkung der „Abwehrrechte der Bürger gegenüber dem Staat“ in Form eines „Recht[s] auf ein analoges Leben“ (S. 47) ein. Hier ergibt sich eine Schnittmenge mit dem BSW, bei dem „Freiheit und Menschenrechte“ auf Platz 5 liegen (Abb. 4) und etwa der „politische Autoritarismus der Corona-Zeit“ (S. 34) kritisiert wird.
Ansonsten fällt in den Kernthemen der AfD vor allem eine Verbreiterung des Themenspektrums ins Auge: Bekannte Themen wie Nationalismus und Anti-EU sind nach wie vor stark vertreten, allerdings legt die Partei 2025 mehr Betonung auf Technologie und Infrastruktur, den Wohlfahrtsstaat und sogar den Umweltschutz, der für die AfD aber vor allem von Windrädern (S.39) oder der Batterieproduktion für Elektromobilität (S. 43) bedroht wird. Es zeichnet sich eine Abwendung vom Image der reinen Herausfordererpartei hin zu einer Partei mit Gestaltungs- und Regierungsanspruch ab. Außerdem wird deutlich: Während AfD und BSW in puncto Innere Sicherheit, Migration, sowie dem Verhältnis von Individuum und Staat durchaus Schnittmengen haben, unterscheidet sich ihre Wirtschaftspolitik klar: Gleichheit im Sinne einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung spielt für die AfD keine Rolle.
Ökonomischer Dissens steht im Vordergrund
Während die AfD weiterhin eine marktliberale, nationalkonservative und migrationsfeindliche Agenda verfolgt, fokussiert sich Die Linke auf soziale Gerechtigkeit und den Ausbau des Wohlfahrtsstaats, wobei sie wirtschaftspolitisch mit linkerer Position auftritt als in vorherigen Wahlkämpfen. Das BSW nimmt in wirtschaftspolitischen Fragen eine mittlere Position ein, kombiniert dies jedoch mit einer restriktiveren Migrationspolitik und der Betonung der Inneren Sicherheit. Die Partei grenzt sich damit sowohl von der Linken als auch von der AfD ab, teilt aber punktuell Überschneidungen mit beiden. Das Thema Zuwanderung dominiert aktuell die öffentliche Debatte und es zeigt sich, dass sich die drei Herausfordererparteien hier stark unterscheiden. Dabei kommen jedoch die Unterschiede zwischen den Parteien in der Frage zu kurz, wie stark ökonomische Ungleichheiten bekämpft oder gar gerechtfertigt bzw. gefördert werden.
Noch ist offen, ob neben der AfD sowohl Die Linke als auch das BSW in den 21. Bundestag einziehen. Klar ist jedoch, dass sich die drei Parteien stark voneinander unterscheiden: Während die AfD mit ihrem Programm „Zeit für Deutschland“ weiter auf migrationsfeindliche und marktliberale Politik setzt, setzt das BSW mit dem Titel „Unser Land verdient mehr“ ebenfalls einen teils nationalistischen Ton, der aber durch den Ausbau des Sozialstaats ergänzt wird. Die Linke grenzt sich hiervon ab, indem sie in ihrem Programm „Alle wollen Regieren. Wir wollen verändern.“ einen starken Fokus auf den universellen Wert Gleichheit setzt. Am 23. Februar 2025 wird sich zeigen, welche dieser Herausforderer in den Bundestag einziehen.
11.02.2025