Corona-Sterberate und nationale Kultur
Als sich die Corona-Pandemie 2020 über den Globus verbreitete, hieß es oft, sie halte nicht an Ländergrenzen. Doch zeichnete sich bereits vor Beginn nationaler Impfkampagnen ab, dass Gesellschaften unterschiedlich gut in der Lage waren, das Virus einzudämmen. Während sich die Zahlen der mit und an Corona Verstorbenen zwischen Industrienationen wie den USA und Japan sehr stark unterschieden, blieb die Mortalitätsrate in politisch und wirtschaftlich so gegensätzlichen Systemen wie Japan und China vergleichsweise niedrig. Resultieren diese Unterschiede also nicht aus wirtschaftlichen oder politischen Bedingungen, wie dem Bruttoinlandsprodukt, der Regierungsform oder der Anzahl an Krankenhausbetten, sondern aus anderen Faktoren?
Eine neue Studie der WZB-Forschenden Jianhong Li, Jan Paul Heisig, Simon Löbl und dem ehemaligen WZB-Gastforscher Plamen Akaliyski und Ko-Autoren zeigt nun anhand von Daten aus 37 Ländern, dass kulturelle Differenzen die unterschiedlichen Mortalitätsraten zwischen den Gesellschaften teilweise erklären können. Die Studie basiert auf einem Ansatz, der Kultur in Anlehnung an den Sozialpsychologen Geert Hofstede als „software of the mind“ versteht, und der demnach das individuelle Verhalten in Gesellschaften mitbestimme. Empirisch ließ sich für Gesellschaften mittels repräsentativer Befragungen nachweisen, dass sie sich anhand von Einteilungen wie „individualistisch-kollektivistisch“ oder „monumental-flexibel“ unterscheiden.

Grafik zeigt den Zusammenhang von "flexiblen" und "monumentalen" Gesellschaften und der Covid-Mortalität in Ländern weltweit.
Die Autor*innen der vorliegenden Studie zeigen, dass kulturell besonders flexible Gesellschaften (besonders jene in Ostasien) im Vergleich zu Ländern mit niedriger Flexibilität gut durch die Anfangsphase der Pandemie, kamen. Konkret hatten sie weniger Corona-Tote zu beklagen als der Rest der Welt; die Studie berücksichtigt alle bis zum 31. Oktober 2020 gemeldeten Fälle.
Die Autor*innen erklären das so: Gesellschaften mit hohen Flexibilitätswerten lenken während der Kindererziehung das Augenmerk besonders auf die Selbst- und Wunschkontrolle und das Unterdrücken negativer Gefühle. Während der Pandemie hat sich das positiv ausgewirkt, zum Beispiel beim stärker akzeptierten Tragen von Masken. Demgegenüber stünden „monumentale“ Gesellschaften in Lateinamerika, Europa und den USA, wo Eltern ihren Kindern eher rieten, ihre Wünsche zu befriedigen, statt sie zu unterdrücken, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, und "einfach sie selbst zu sein". Ein Ergebnis der vorliegenden Studie ist, dass der kulturelle Faktor die globalen Unterschiede in der Mortalität besser erklären kann als andere soziokulturelle Faktoren, etwa die Unterscheidung individualistisch-kollektivistisch, oder politisch-ökonomische Faktoren, etwa das Bruttoinlandsprodukt.
20.10.2022 /fjb