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NicoElNino/iStock / Getty Images Plus

Kanäle und politische Kommunikation

Welche Bedeutung haben Kanäle für die Inhalte politischer Kommunikation? Derzeitige Erfolge rechter Politiker*innen auf TikTok zeigen: Die politische Kommunikation ist ein sich schnell veränderndes Feld, in dem ständig neue digitale Kanäle genutzt werden, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Der Wettbewerb der Parteien findet heute gleichzeitig auf mehreren Kanälen mit unterschiedlichen Merkmalen statt.

WZB-Forscher Christoph Ivanusch zeigt in seiner jetzt veröffentlichten Studie, dass politische Parteien an verschiedenen Orten unterschiedliche Signale senden. Das hängt von der Art und den Eigenschaften der Kommunikationskanäle und -mittel ab. Dafür hat er mit dem Sprachmodell BERT 41.000 Parlamentsreden, 34.000 Pressemitteilungen, rund 72.000 Tweets von Parteiaccounts und mehr als 420.000 Tweets einzelner Parteimitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen Januar 2019 und September 2021 untersucht.

Der Forscher analysiert in seinem Beitrag, welche Kanaleigenschaften das Ausmaß beeinflussen, in dem Parteien ihre „ideale Agenda“ adressieren oder von ihr abweichen. Die „ideale Agenda“ einer Partei ist das präferierte Maß der Aufmerksamkeit, das sie einem Thema oder Politikbereich einräumt. Sie spiegelt so die Themenpräferenzen von Parteien wider und wird zumeist aus den Wahlprogrammen der Parteien abgeleitet.

Die Kanaleigenschaften werden anhand folgender drei Kriterien kategorisiert: das Hauptpublikum des Kanals, der Grad der Zentralisierung und der Grad der Vorstrukturierung. In der Kategorie Hauptpublikum wird differenziert, ob sich der Kanal direkt an die breite Bevölkerung richtet, wie etwa Twitter/X, oder ob er sich an ein vermittelndes Publikum richtet, wie etwa Pressemitteilungen für Journalist*innen. Beim Grad der Zentralisierung teilt man ein in zentralisierte Kanäle, in denen Nachrichten mit der Parteiführung abgestimmt werden, und nichtzentralisierte Kanäle, in denen Einzelpersonen weitgehend selbst kommunizieren. Der Grad der Vorstrukturierung unterscheidet dabei, ob die Agenda der Kommunikation im Kanal vorgegeben ist, wie z. B. bei Parlamentsreden, die zu einem bestimmten Debattenthema gehalten werden müssen oder nicht.

Entscheidend für die Beeinflussung der Parteienkommunikation sind der Grad der Zentralisierung und der Grad der Vorstrukturierung des Kanals.

Dezentrale Kommunikation (z. B. Tweets einzelner Parteimitglieder) erweist sich nicht einfach als eine Verstärkung zentraler Parteibotschaften. Dezentrale Kommunikation und die damit verbundene fehlende Kontrolle durch die Parteiführung erschwert die Einhaltung der „idealen Agenda“ einer Partei. Darüber hinaus kann dezentrale Kommunikation als Strategie aber auch Anreize für Parteien und ihre Mitglieder schaffen, abweichende politische Signale zu senden, um bestimmte Zielgruppen zu gewinnen.

Die Studie zeigt auch, dass sich die Vorstrukturierung eines Kanals oder Kommunikationsmittels negativ auf die Fähigkeit der Parteien auswirkt, gemäß der „idealen Agenda“ zu kommunizieren. So sind die Parteien zwar durchaus in der Lage, über vorstrukturierte Kanäle wie Parlamentsreden politische Signale zu senden, doch ist dies im Vergleich zu anderen Kanälen eher begrenzt. Für Oppositions- und Nischenparteien ist dieser limitierende Faktor wesentlich stärker als für Regierungs- und Mainstream-Parteien.

Das Hauptpublikum eines Kanals scheint eine geringere Rolle zu spielen. Die „ideale Agenda“ spiegelt sich in ähnlichem Ausmaß in Kanälen wider, die sich direkt an ein breiteres Publikum richten (z. B. Twitter/X), und Kanälen wie Pressemitteilungen, die sich spezifisch an Journalist*innen richten. Dieses Ergebnis könnte aber durchaus auf die heutige Rolle von Twitter/X zurückzuführen sein und für andere soziale Medien anders ausfallen. Twitter/X dient den Parteien, ähnlich wie Pressemitteilungen, noch immer – und das auch nach der Übernahme durch Elon Musk – als Mittel, um mit Journalist*innen in Kontakt zu treten, während dies für andere soziale Medien (z.B. Facebook, Instagram, TikTok) weniger der Fall ist.

Die Ergebnisse verdeutlichen die Komplexität des Parteienwettbewerbs in modernen Medienumgebungen. Sie zeigen, dass mehrere politische Agenden parallel existieren und sogar von ein und demselben Akteur ausgehen können. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen haben unterschiedliche Präferenzen. Dieser Umstand kann Parteien dazu veranlassen, ihre thematische Agenda an verschiedene Kanäle anzupassen, um ihre (Wahl-)Attraktivität zu erhöhen. Christoph Ivanusch unterstreicht hier die Notwendigkeit, diese Heterogenität politischer Agenden und deren Wirkungen in politischen Systemen stärker in den Fokus der Forschung zu rücken.

10.6.24/MP