Fast rund um die Uhr im Einsatz
Etwa 80 Prozent der Menschen, die in Deutschland Pflege brauchen, werden zuhause versorgt. Vor allem Familienmitglieder und Verwandte sind eingebunden, aber auch Mitarbeiter*innen mobiler Pflegedienste und Betreuungskräfte aus dem Ausland. Über solche Live-ins, die oft mit im Haushalt leben und sich meist nahezu rund um die Uhr um die Pflegebedürftigen kümmern, ist bislang wenig bekannt. In einer Studie von Lena Hipp, Sandra Leumann (beide WZB) und Ulrich Kohler (Universität Potsdam) wurden Arbeitsbedingungen und Wohlbefinden von polnischen Betreuungskräften in Berlin untersucht.
Es kann ganz schnell gehen: Ein Sturz, ein Herzinfarkt, die Verschlechterung lange bestehender Krankheiten – und plötzlich ist ein alter oder auch jüngerer Mensch pflegebedürftig und kann sich nicht mehr selbst versorgen. Neben den Familienangehörigen sind es oft Betreuer*innen aus dem Ausland, die diese anstrengende Betreuung übernehmen, als Haushaltshilfe arbeiten oder für die Grundpflege verantwortlich sind. Auf Englisch heißen sie Live-ins. Hochgerechnet und orientiert an Österreich, wo die Zahl der ausländischen Betreuer*innen erfasst wird, gibt es schätzungsweise rund 600.000 solcher ausländischen Live-ins in Deutschland. Hier ist – anders als in Österreich und der Schweiz – die Arbeit dieser häuslichen Betreuer*innen nicht reguliert.
Mehr als 220 Betreuer*innen befragt
Die Autor*innen konnten mehr als 220 polnische Betreuer*innen für ihre Studie zu Arbeitsbedingungen und Wohlbefinden befragen. Es waren meist Frauen im Alter über 50 Jahren; 60 Prozent von ihnen wurden über eine Agentur vermittelt.
Oft findet die Arbeit in einer rechtlichen Grauzone statt: Freie Tage und Pausen sind selten geregelt; wer in einem Haushalt lebt, muss sich den Bedingungen dort anpassen. Die Studie unterscheidet bei den Vermittlungswegen, d. h. ob die Betreuer*innen über eine Agentur oder privat in den Haushalt kommen.
Die Ergebnisse der Studie:
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Betreuerinnen, die von einer Agentur vermittelt werden, sind insgesamt zufriedener mit ihrem Leben. Auch ihre Pausenzeiten und freien Tage sind besser geregelt.
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Von einer Agentur vermittelte Betreuer*innen erhalten jedoch ein geringeres Gehalt als privat vermittelte oder auf eigene Rechnung arbeitende Arbeitskräfte, die deshalb zufriedener mit ihrem Gehalt sind.
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Die Studie zeigt, dass es wichtig ist, die Arbeitsbedingungen dieser Live-ins zu verbessern – sie entsprechen deutschen Arbeitsstandards nicht. Gesetzgeber und Agenturen sind hier gefragt. Die Autor*innen machen deutlich: Die profitorientiert arbeitenden Vermittlungsagenturen müssen sicherstellen, dass sie die Interessen und das Wohl der Arbeitskräfte, die andere Menschen in ihrem Zuhause betreuen, nicht nachrangig behandeln und angemessene Löhne zahlen.
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Vermittlungsagenturen sollten arbeitsrechtliche Unterstützungen bieten und eine bessere Vermittlung zwischen diesen Betreuer*innen und den Haushalten, in denen sie leben und arbeiten, gewährleisten.
Eine neue Methode wurde eingesetzt
Erprobt wurde für die Befragung der schwer erreichbaren Betreuer*innen das in Deutschland bislang wenig etablierte Erhebungsverfahren des „Respondent-Driven Sampling“ (RDS). Es erlaubt, generalisierbare Aussagen über schwer erreichbare Gruppen zu treffen, wozu auch die sogenannten Live-ins gehören. Sie sind meist nicht hier gemeldet und haben kaum Interesse an einer Studienteilnahme, weil diese für sie risikobehaftet sein könnte. Mit RDS-Daten wurden erstmals statistisch valide Aussagen zu migrantischen 24-Stunden-Betreuungskräften und deren Lebens- und Arbeitsbedingungen möglich.
9.9.24, kes