Mehr Fairness im Bürgeramt
Dem Schwarzhandel, der um Termine bei öffentlichen Ämtern entstanden ist, will ein Team um Verhaltensökonomin Dorothea Kübler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Grundlage entziehen. Die weitverbreiteten Online-Buchungssysteme zur Terminvergabe arbeiten meist nach dem Prinzip: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Schwarzhändler haben hier einen lukrativen Markt entdeckt: Sie buchen mit Hilfe spezieller Software im großen Stil Termine unter falschen Namen und verkaufen diese im Internet weiter. Dorothea Kübler und ihre Kollegen schlagen ein alternatives System vor, bei dem Termine gebündelt und wie bei einer Lotterie zufällig verteilt werden. Geschwindigkeit verliert an Bedeutung, das technologisch optimierte Geschäft lohnt sich nicht mehr.
In manchen Städten entstehen lange Wartezeiten, um Geburtsurkunden, Führerscheine oder andere wichtige Dokumente zu beantragen – sofern überhaupt Termine über die Internetseiten der Ämter erhältlich sind. In einigen deutschen, US-amerikanischen und österreichischen Konsulaten, aber auch in Ausländerbehörden in Frankreich und Irland sind zum Beispiel Termine nur noch über den Schwarzmarkt erhältlich. Der Grund: Diese öffentlichen Stellen nutzen Online-Buchungssysteme, über die, in der Regel ohne Gebühr, ein freier Termin gewählt und gebucht werden kann. Verfahren nach diesem „Wer-zuerst-kommt-mahlt-zuerst“-Prinzip sind allerdings anfällig für Manipulationen durch Schwarzhändler: Sie buchen reihenweise unter falschen Namen Termine, die sie teuer weiterverkaufen. Die Termine werden dann storniert und sofort wieder gebucht, dieses Mal unter dem Namen des Kunden. Dabei kommt Software zum Einsatz, die die Vergabesysteme überwacht und Termine sofort belegt, sobald sie freigegeben werden. Individuelle Terminsuchende haben keine Chance, den Wettlauf gegen diese Technologie zu gewinnen. Das Prinzip einer freien und fairen Terminvergabe für öffentliche Dienstleistungen wird damit untergraben.
Ein Forschungsteam des WZB und der japanischen Keiō-Universität schlagen ein neues Verfahren vor, das den Schwarzhändlern die Geschäftsgrundlage entzieht. Rustamdjan Hakimov, Philipp Heller, Dorothea Kübler und Morimitsu Kurino konnten mit Hilfe eines spieltheoretischen Modells und verhaltensökonomischer Experimente belegen, dass Schwarzhändler nur aktiv werden können, wenn das Terminvergabesystem auf der Basis von „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ erfolgt. Im alternativen System werden Anfragen für freie Termine nicht sofort bearbeitet, sondern zunächst gebündelt. Falls es mehr Anfragen als Termine gibt, entscheidet das Los.
Dorothea Kübler, Direktorin am WZB, erklärt: „In unserem alternativen System ist die Wahrscheinlichkeit, einen Termin zu ergattern, indem man es direkt beim kostenfreien Buchungssystem des Amtes versucht, genauso hoch, wie wenn man über einen kostenpflichtigen Dienst geht. Terminsuchende erhalten durch die Schwarzhändler also keinen Vorteil mehr, das Geschäftsmodell bricht zusammen.“
Die Experimente der Studie zeigen: Sobald die Schwarzhändler keinen Vorteil mehr durch die Geschwindigkeit ihrer Buchungen haben, ist der zentrale Mechanismus für ihr Geschäftsmodell ausgehebelt – sie ziehen sich aus dem Markt zurück.