Wirtschaftspolitische Beratung in der Kritik
Zu neoliberal, zu männlich und zu arm an Perspektiven – so bewertet eine neue Studie die Arbeit und Zusammensetzung der wirtschaftspolitischen Beratungsgremien der Bundesregierung. In den vergangenen 40 Jahren hat stets eine absolute Mehrheit der Gremienmitglieder eine strikte Sparpolitik, Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie Sozialstaatsabbau befürwortet. Nur rund jedes zehnte Mitglied war und ist solchen Maßnahmen gegenüber kritisch eingestellt, lautet ein Fazit der Untersuchung. Sie entstand unter Leitung von WZB-Forscher Dieter Plehwe für die Otto Brenner Stiftung.
Die Studie hat die Arbeit und personelle Zusammensetzung dreier wirtschaftspolitischer Beratungsgremien von 1982 bis 2022 untersucht: des Sachverständigenrates ("Wirtschaftsweise") und der Beiräte des Wirtschafts- und Finanzministeriums.
Zu wenig Frauen
In allen drei Beratungsgremien sind Frauen deutlich in der Minderheit. Erst seit ca. 2012 werden Frauen häufiger in die Beratungsgremien berufen. Im Sachverständigenrat, dem wohl einflussreichsten wirtschaftspolitischen Gremium, hat es 40 Jahre nach Gründung gedauert, bis 2004 die erste Frau als Mitglied berufen wurde.
Keine Vielfalt an Disziplinen und Forschungsinstituten
Die Studie stellt eine Verengung auf die Disziplin der Wirtschaftswissenschaften fest. Dass die große Mehrheit der Beiratsmitglieder, stets über 90 Prozent, Volkswirt*innen sind, liegt in der Natur der Sache wirtschaftspolitischer Beratung. Während Rechtswissenschaftler*innen eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren, spielen dagegen Sozialwissenschaftler*innen – beispielsweise Wirtschaftssoziolog*innen, politische Ökonom*innen oder sozialpolitische Expert*innen – keine Rolle.
Mit Blick auf die Universitäten und Forschungsinstitute, in denen die Beiratsmitglieder zum Zeitpunkt ihrer Berufung beschäftigt sind, wird eine klare Hierarchie deutlich, wie die Studienautoren Dieter Plehwe, Moritz Neujeffski und Jürgen Nordmann feststellen. Zehn von über hundert potentiellen Institutionen vereinen knapp 42 Prozent der Gremienmitglieder auf sich.
Mehrheit pro Austerität
Austeritätspolitische Maßnahmen – das heißt hier: Ansätze von Sparpolitik, Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie Maßnahmen zum Sozialstaatsabbau – befürworteten im untersuchten Zeitraum 23,2 Prozent der Gremienmitglieder, 32,1 Prozent sogar stark. Nur wenige Expert*innen lehnten solche Maßnahmen ab (7,7 Prozent), noch weniger äußerten sich im Sinne einer starken Ablehnung (4,2 Prozent).
Einfluss von Netzwerken auf Berufung von Gremienmitgliedern
Bei der Berufung der Gremienmitglieder spielten auch persönlich-akademische Beziehungen eine Rolle. Viele Mitglieder folgten ihren Doktorvätern und -müttern in die Gremien. „Professor*innen ziehen auf diese Weise die eigene wirtschaftswissenschaftliche Denkschule und damit ähnliche wirtschaftspolitische Positionierungen in die Beratungsgremien nach“, heißt es in der Studie.
Auch politische und intellektuelle Netzwerke scheinen die Gruppenbildung in den Beiräten zu verstärken. 21 Think Tanks und Netzwerke, in denen Austeritätsbefürworter*innen organisiert sind, weisen Verbindungen in mehrere Beiräte auf. Im Lager der Sparpolitiker*innen gibt es diese gremienübergreifenden Verbindungen einzelner Netzwerke oder Think Tanks nicht.
Fazit
Die Zusammensetzung der wirtschaftspolitischen Beratungsgremien muss modernisiert werden, lautet ein Fazit der Studie. „Ein deutlich höherer Anteil von Ökonominnen ist ebenso erforderlich wie eine höhere Vielfalt an Lehrmeinungen“, sagt Studienleiter Dieter Plehwe. „Ähnlich wie in anderen Beiräten, wo selbstverständlich Ökonom*innen vertreten sind, sollten in den Beiräten des Wirtschafts- und Finanzministeriums auch Sozialwissenschaftler*innen oder auch Klimawissenschaftler*innen regelmäßig zu Gehör kommen.“
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CR, 12.3.24