Schultreppe
Maurice Weiss/OSTKREUZ

Schwieriger Einstieg

Manche Jugendlichen fassen nur schwer Fuß auf dem Arbeitsmarkt

Jugendarbeitslosigkeit steht schon lange im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Politik und Forschung. Ein problematischer Arbeitsmarkteinstieg hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die weitere Erwerbskarriere und die soziale Teilhabe. Das ist unbestritten. Junge Erwerbseinsteiger*innen sind zudem deutlich härter von Wirtschaftskrisen betroffen als erwachsene Arbeitnehmer*innen, da sie oft nicht den vollen Kündigungsschutz genießen und die Zahl der Neueinstellungen als Erstes von Unternehmen reduziert wird. Um einen erfolgreichen und nachhaltigen Übergang zwischen Ausbildung und Erwerbsleben sicherzustellen, haben Industrieländer unterschiedliche Institutionen, politische Maßnahmen und Programme entwickelt, die einen schwierigen Einstieg ins Berufsleben verhindern sollen. Die Etablierung langfristiger Institutionen wie mittelfristiger Maßnahmen erfordern eine angemessene Bestandsaufnahme und Beschreibung. Die Frage lautet: Wer ist betroffen, und erfassen wir alle Jugendlichen?

Der klassische Indikator zur Beschreibung von Jugendarbeitsmärkten ist die Jugendarbeitslosenquote. Jugendliche einer bestimmten Altersgruppe, die vergeblich eine Beschäftigung suchen, werden ins Verhältnis gesetzt zu den Jugendlichen der gleichen Altersgruppe, die entweder beschäftigt sind oder aktiv nach Arbeit suchen. Je höher der Anteil der vergeblich Suchenden ist, umso angespannter ist die Lage auf dem jeweiligen Jugendarbeitsmarkt. Dabei werden nur diejenigen Jugendlichen als Ziel politischer Unterstützungsmaßnahmen wahrgenommen, die nach Arbeit suchen, aber nicht solche, die im ökonomischen Sinne inaktiv sind, das heißt keiner bezahlten Arbeit nachgehen oder nicht aktiv als suchend bei den Jobcentern erscheinen. Dies hat zur Folge, dass ein großer Teil von Jugendlichen gar nicht in der Jugendarbeitslosenquote erfasst wird. Die Gefahr besteht, dass die Bestandsaufnahme zu Fehlschlüssen über die reale Situation von Jugendlichen führt.

Einen anderen Ansatz bietet das in den 1990er-Jahren in Großbritannien entwickelte NEET-Konzept, das die Nachteile der Jugendarbeitslosenquote auffangen soll. NEET steht dabei für „Not in Employment, Education or Training“ (nicht in Beschäftigung, Bildung oder Ausbildung). Hier werden nun inaktive und erwerbslose Jugendliche ins Verhältnis zu allen Jugendlichen einer Altersgruppe gesetzt, sodass nun alle Jugendlichen in der Bestandsaufnahme berücksichtigt werden. Seit den 2000er-Jahren wird das Konzept bei Eurostat und der OECD verwendet und findet auch in der Wissenschaft Beachtung. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wer ist von NEET betroffen, und wo im Übergangsprozess zwischen Schule und Erwerbsleben tritt der Fall auf, dass sich Jugendliche nicht in Beschäftigung, Bildung oder Ausbildung befinden?

Junge Mütter besonders häufig betroffen

Im internationalen Vergleich lassen sich viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den Ländern finden: In der Gruppe der NEET-Jugendlichen gibt es überproportional viele Menschen mit Migrationshintergrund oder mit niedrigem Bildungsabschluss und viele (meist männliche) Jugendliche mit psychischen- oder Drogenproblemen. Unsere Länderanalysen zeigen nationale Besonderheiten. In Deutschland finden wir – neben dem Migrations- und dem Bildungseffekt – zwei deutliche Phänomene: Zum einen nimmt die Wahrscheinlichkeit, eine NEET-Phase im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zu erfahren, bei den jüngeren Geburtsjahrgängen signifikant zu. Die Übergänge nach dem Verlassen der Schule sind – anders als für die in den 60er- und frühen 70er-Jahren geborenen Menschen – bei in den 80er-Jahren Geborenen deutlich weniger stabil und linear. Dies kann als eine Folge der Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarkts seit den 1990er-Jahren interpretiert werden. Zum anderen beobachten wir in Deutschland stärker als in anderen Ländern eine klare Überrepräsentation von jungen Frauen mit Kindern in der Gruppe der NEET-Jugendlichen. Diesen Effekt finden wir nicht für Frauen ohne Kinder oder Männer mit Kindern. Das heißt, dass junge Mütter (vor allem mit mehreren Kindern) häufiger als in anderen Ländern NEET-Phasen erfahren. In Deutschland scheint immer noch die Regel zu gelten, dass sich Frauen bei der Familiengründung aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen. Bezöge man nur die Jugendarbeitslosenquote ein, würde sich dieser Effekt nicht in dieser Deutlichkeit zeigen, da hier diejenigen Jugendlichen, die nicht als arbeitssuchend gelten, gar nicht erfasst werden. Die Unsichtbarkeit der jungen Mütter in der herkömmlichen Messung hat folglich zu einer ungenauen Fokussierung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geführt.

Arbeitslosigkeit wie NEET-Phasen haben negative Auswirkungen auf den weiteren Erwerbsverlauf. Sie variieren nach Dauer, Häufigkeit und dem zeitlichen Auftreten. Eine Person, die nach der Schule einen Monat nicht in Beschäftigung, Bildung oder Ausbildung ist, wird später sicherlich weniger Folgen spüren als jemand, der eine längere Phase von zwei Jahren im Lebenslauf rechtfertigen muss. Ebenso verhält es sich mit Personen, die mehrere solcher Phasen durchlaufen. Es macht auch einen Unterschied, ob jemand direkt nach der Schule pausiert oder zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen.

Für unsere Forschung ist es wichtig, statt der Aggregatdaten, die die internationalen Organisationen als Vergleichsdaten hinzuziehen, die individuellen Verlaufsdaten von jungen Menschen in den Blick zu nehmen. Mit dem Nationalen Bildungspanel (NEPS) steht uns dafür eine sehr gute Datenbasis zur Verfügung.

Drei problematische Erwerbseinstiegsverläufe

Insgesamt haben ungefähr die Hälfte aller Jugendlichen in Deutschland nach Verlassen der Schule eine NEET-Phase von mindestens einem Monat. Um die Fragen nach dem Zeitpunkt von NEET-Phasen und deren individuellen Folgen zu beantworten, haben wir die Erwerbsverläufe von Jugendlichen für eine Dauer von zehn Jahren nach dem ersten Schulabschluss analysiert, wobei wir monatliche Informationen zum Arbeitsmarktzustand miteinbezogen. Dabei haben wir die Zustände „Schule“, „Berufsausbildung“, „Universität“, „Beschäftigung“ und „NEET“ unterschieden. Die sich daraus ergebenden Verläufe mit jeweils 120 Zuständen (10 Jahre mal 12 Monate) können mithilfe eines Vergleichsalgorithmus in ähnliche Gruppen sortiert werden. Jede Gruppe von Personen mit ähnlichen Verläufen bildet dann einen Idealtyp oder in anderen Worten: ein Übergangsmuster. Für diese Übergangsmuster kann dann die Zusammensetzung nach bestimmten Merkmalen (Geschlecht, regionale Herkunft etc.) oder die späteren Folgen hinsichtlich Einkommen und Beschäftigung untersucht werden.

Die Klassifizierung ergibt acht Übergangstypen, von denen drei jeweils mehrere und/oder längere NEET-Phasen enthalten und als problematische Erwerbsverläufe von Jugendlichen zu kennzeichnen sind:

  • Verlaufstyp 1: Hier wird zunächst eine Berufsausbildung absolviert, auf die dann eine kurze Erwerbstätigkeit folgt und dann der Übergang in eine andauernde NEET-Phase.
  • Verlaufstyp 2: Hier folgt die NEET-Phase innerhalb des ersten Jahres nach Schulabschluss und dauert bis zum Ende des Beobachtungszeitraums an.
  • Verlaufstyp 3: Er ist von vielen Erwerbstätigkeiten gekennzeichnet, die aber immer wieder durch kürzere NEET-Phasen unterbrochen sind.

Die anderen fünf Verlaufstypen enthalten zwar ebenfalls vereinzelte NEET-Phasen, in der Summe aber deutlich weniger NEET-Monate. Sie werden außerdem von Erwerbstätigkeit, Studium und/oder Berufsausbildung dominiert und erscheinen damit nicht als problematisch.

Die drei von NEET-Phasen dominierten Erwerbseinstiegsverläufe weisen signifikante Unterschiede hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Zusammensetzung auf. Der Verlaufstyp 1 (später Übergang in NEET) ist häufig bei jungen Müttern zu finden. Der Grund für den Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit (bei gleichzeitig nicht stattfindender Weiterbildung) ist hier die Familiengründung bzw. die Geburt des ersten Kindes. Im Verlaufstyp 2 (lange NEET-Phasen) sind ebenfalls junge Mütter aber auch Personen mit Migrationshintergrund überproportional vertreten. Ebenfalls ist der Verlaufstyp 3 (wiederholte kurze NEET-Phasen) vor allem geprägt durch Personen mit Migrationshintergrund. Ein Grund dafür ist, dass Migrant*innen seltener in die klassischen (stabileren) Wege der Berufsausbildung integriert sind; die Erwerbseinstiege von Migrant*innen sind insgesamt diskontinuierlicher.

Die Formen des Erwerbseinstiegs unterscheiden sich nicht nach der regionalen Herkunft: So spielt es beispielsweise keine Rolle, ob jemand aus Ost- oder Westdeutschland kommt. Ebenso ist der Effekt der Geburtskohorte kaum signifikant für die NEET-Phasen beim Erwerbseinstieg. Auch der Bildungsabschluss spielt nur eine Rolle für den Einstieg in das Erwerbsleben: Eine höhere Schulbildung verringert signifikant die Wahrscheinlichkeit von NEET-Phasen im Übergang. Die soziale Herkunft – hier gemessen am Bildungsniveau der Eltern – hat ebenfalls nur einen geringen Einfluss auf die Häufigkeit und Verteilung von NEET-Phasen. Soziale Herkunft scheint sich nur indirekt über die Schulbildung von Jugendlichen auszuwirken.

Geringeres Einkommen durch lange NEET-Phasen

Um politischen Handlungsbedarf zu identifizieren, ist es nötig, einen Blick auf die potenziellen, längerfristigen Nachteile der NEET-Phasen der Unterbrechung in Erwerbseinstiegen zu werfen. Dazu haben wir das Einkommen und den beruflichen Status von 30-Jährigen analysiert. Personen, die in einem der drei oben genannten problematischen Verlaufstypen in das Erwerbsleben starten, haben im Alter von 30 deutlich weniger monatliches Einkommen zur Verfügung: für den Verlaufstyp 1 (später Übergang in NEET) sind das ca. 800 Euro weniger, für den Verlaufstyp 2 (lange NEET-Phasen) sogar ca. 1.500 Euro weniger im Vergleich zu Personen, die keine NEET-Phase in den ersten 10 Jahren nach dem Verlassen der Schule haben. Die Personen des Verlaufstyps 3 (wiederholte, kurze NEET-Phasen) haben im Durchschnitt 700 Euro weniger Einkommen im Alter von 30 Jahren.

Interessant ist dabei, dass sich NEET-Phasen, die zusammen mit einem Studium im Erwerbsverlauf nach der allgemeinbildenden Schule auftreten, nicht negativ auf das Einkommen auswirken. Hochschulbildung scheint also die negativen Folgen von NEET-Phasen auszugleichen. Es ist ebenso zu beobachten, dass das zu erwartende Einkommen im Alter von 30 Jahren bei sonst gleichbleibenden Bedingungen über die Zeit schrumpft: Jüngere Kohorten müssen also vergleichsweise mehr in Bildung investieren, um vergleichbare Einkommen zu erzielen.

Das zweite Merkmal, das wir untersucht haben, ist der berufliche Status im Alter von 30 Jahren. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die Beschreibung der gesellschaftlichen Position, die eine Person erlangt. Es kann hierbei Aufstiege oder Abstiege geben, und die meisten Konzepte, die die jeweilige Position – also den Status – messen, greifen dabei auf eine Kombination aus Bildungsgrad und Beruf zurück. Erwartungsgemäß haben die Personen, die ihren Bildungsweg nach der allgemeinbildenden Schule an einer Hochschule fortsetzen, keine Nachteile durch NEET-Phasen in ihrer Erwerbsbiografie zu befürchten. Ihr beruflicher Status im Alter von 30 Jahren ist nach wie vor deutlich überdurchschnittlich hoch. Die größten Risiken durch die beschriebenen problematischen Verlaufstypen zeigen sich vor allem für junge Mütter. Sie haben einen signifikant niedrigeren beruflichen Status im Alter von 30 Jahren zu erwarten.

Fazit

Bei der Beurteilung der Arbeitsmarktsituation von Schulabgänger:innen spielt das NEET-Konzept eine zunehmend wichtige Rolle, da es im Vergleich zur Arbeitslosenquote ein umfassenderes Bild bietet und den Fokus auf andere betroffene Gruppen erweitert. Internationale Organisationen wie zum Beispiel die OECD oder Eurostat, aber auch nationale Regierungen nutzen die NEET-Quoten zunehmend zur Beschreibung von Problemen auf Jugendarbeitsmärkten. Eine Betrachtung von individuellen Verläufen eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit festzustellen, wann NEET-Phasen negative Auswirkungen auf die spätere Karriere haben und für welche Gruppen dies besonders problematisch ist. Hier haben unsere Analysen ergeben, dass vor allem lange NEET-Phasen mit Blick auf das spätere Einkommen und den beruflichen Status negative Konsequenzen aufweisen. Besonders betroffen sind hiervon in Deutschland junge Mütter (lange NEET-Phasen) und Menschen mit Migrationshintergrund (häufige NEET-Phasen). In Kombination mit einem Studium verschwinden diese Folgen allerdings.  

Literatur

Blossfeld, Hans-Peter/Maurice, Jutta von/Schneider, Thorsten: The National Education Panel Study: Need, Main Features, and Research Potential. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 2011, Jg. 14, S. 5-17.

Brzinsky-Fay, Christian: NEET in Germany. Labour Market Entry Patterns and Gender Differences. In: Mark Levels/Christian Brzinsky-Fay/Craig Holmes/Janine Jongbloed/Hirofumi Taki (Hg.): The Dynamics of Marginalized Youth. Not in Education, Employment, or Training Around the World. London/New York: Routledge 2022, S. 56-86.

Dietrich, Hans: Jugendarbeitslosigkeit aus einer europäischen Perspektive. Theoretische Ansätze, empirische Konzepte und ausgewählte Befunde. IAB Discussion Paper 24/2015. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit 2015.

21.09.2022

Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Hier finden Sie das PDF zum Beitrag.