Zeitungleichheit als Barriere für nachhaltige Mobilität: Eine Analyse sozial-räumlicher Ungleichheiten

Abstract

Nachhaltigkeitspolitiken, die als Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels dienen, tragen signifikant zur Transformation städtischer Räume bei. Im Verkehrssektor, der neben dem Energiesektor und der Industrie zu den größten CO2-Emittenten weltweit zählt, müssen Maßnahmen wie der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, die Verbesserung der Infrastruktur für Rad- und Fußwege sowie die Einschränkung des Autoverkehrs umgesetzt werden, um Emissionen zu reduzieren.

Studien aus den USA zeigen, dass nicht alle sozialen Gruppen gleichermaßen Zugang zu nachhaltiger Mobilität haben und diese Transformation auch mit Ungleichheiten verbunden ist. Aktive und öffentliche Verkehrsmittel reduzieren zwar die Umweltbelastung, sind jedoch im Vergleich zum privaten Auto oft mit höheren finanziellen und zeitlichen Kosten verbunden, was oft durch die Stadtstruktur, Suburbanisierung und Autozentrierung der Städte erklärt wird.

In Deutschland und Europa unterscheiden sich urbane Ungleichheiten jedoch in wesentlichen Aspekten von denen der USA. Nicht nur niedrigere Wohnsegregation, sondern auch umfangreichere Verkehrsinfrastruktur in den Städten erleichtert eine nachhaltigere Mobilität. Dennoch nutzen auch hier viele Bevölkerungsgruppen weiterhin das private Auto und tragen damit zu den Emissionen im Verkehrssektor bei.

Während sich die Forschung in den USA auf wirtschaftliche oder infrastrukturelle Barrieren konzentriert, wurde Zeitungleichheit bisher kaum berücksichtig. Zeitungleichheit, definiert als ungleiche Verteilung von Zeitressourcen zwischen sozialen Gruppen, ist eine bedeutende Dimension sozialer Ungleichheit, da Zeit speziell in kapitalistischen Gesellschaften eine wertvolle Ressource darstellt. Zeitarmut führt nachweislich zu Stress, vermindertem Wohlbefinden und eingeschränkter Lebensqualität, da weniger Zeit für persönliche Bedürfnisse oder Freizeit zur Verfügung steht.

Meine Dissertation erforscht den Zusammenhang von Zeitungleichheit und nachhaltiger Mobilität in deutschen Städten innerhalb drei empirischer Kapitel. Dafür kombiniere ich umfangreiche Daten zur Alltagsmobilität sowie detaillierte Informationen zu räumlichen Gegebenheiten und sozioökonomischen sowie demografischen Faktoren aus der Mobilität in Deutschland-Studie (MiD) der Jahre 2002 und 2017 mit den Daten der Mobicor-Studie (Mobilität in Zeiten der Corona-Pandemie) von 2020 bis 2023.

Das erste Kapitel untersucht, inwiefern sozial-räumliche Faktoren das umweltfreundlichere Mobilitätsverhalten von formal Höhergebildeten erklären. Die Untersuchung zeigt, dass Akademiker*innen in zentraleren, städtischen Gebieten leben, was zu kürzeren Wegen führt und ihnen ermöglicht, nachhaltigere und langsamere Verkehrsmittel zu nutzen, ohne dabei höhere Zeitkosten in Kauf nehmen zu müssen.

Im zweiten Kapitel wird aufgezeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund in deutschen Städten trotz gleicher Entfernungen mehr Zeit für ihre Alltagsmobilität benötigen und nicht immer die zeitlichen Ressourcen für langsamere, nachhaltige Mobilität haben. Eine Ursache dafür ist ihr Wohnort, da Menschen mit Migrationshintergrund häufig in benachteiligten Nachbarschaften mit eingeschränktem Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und lokalen Dienstleistungen wohnen. Qualitative Interviews deuten außerdem darauf hin, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Mobilität anpassen, um sich vor wahrgenommenen unsicheren Situationen im öffentlichen Raum zu schützen, was ihre Reisezeiten weiter erhöht.

Das dritte Kapitel analysiert die Auswirkungen von Homeoffice auf Alltagsmobilität und Sorgearbeit. Die COVID-Pandemie hat gezeigt, dass Homeoffice Pendelzeiten und die damit verbundenen Emissionen reduziert. Allerdings zeigen andere Studien, dass Homeoffice auch mit einer erhöhten Sorgearbeit für Frauen einhergehen kann. Es wird untersucht, inwieweit Homeoffice den Zeitaufwand für Wege im Bereich der Sorgearbeit beeinflusst. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere formal niedriggebildete Frauen durch Homeoffice mehr Zeit für Sorgearbeitswege aufwenden müssen, als formal niedriggebildete Männer.

Meine Dissertation leistet einen Beitrag zur Forschung über Nachhaltigkeitspolitiken und sozialer Ungleichheit, indem sie aufzeigt, welche Rolle Zeitrestriktionen bei nachhaltigem Mobilitätsverhalten spielen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der bloße Ausbau nachhaltiger Verkehrsinfrastrukturen nicht ausreicht, um gerechte Mobilitätsübergänge zu erreichen. Stattdessen müssen strukturelle und zeitliche Barrieren reduziert werden, damit sich alle sozialen Gruppen nachhaltig fortbewegen können.