Die Hierarchien der Mode
Mode und Soziologie sind die Themen von Alexander Hoppe, Kohli Fellow und Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion am WZB. In seinem neuen Buchprojekt „Routinizing Creativity“ beschäftigt er sich mit dem Ursprung von Mode und mit ihren globalen Arbeitsprozessen. Im Interview mit Kerstin Schneider spricht er über seine Forschung zu Arbeit, Ästhetik und Aufmerksamkeit.
Warum interessieren Sie sich für die Verbindung von Mode und Soziologie?
Ich habe mich schon vor langer Zeit für Mode interessiert, als ich in der Schule als Model und „beliebtes Kind“ (innerhalb des amerikanischen Cliquensystems) gescoutet wurde. Da habe ich gelernt, dass Aussehen eine Form von Status ist und dass man beliebt bleiben kann, sozusagen an der Spitze, indem man mit dem Aussehen experimentiert und genau auf Reaktionen, Gerüchte usw. achtet. Jetzt bleibe ich an dem Thema dran, indem ich die Konzepte der Aufmerksamkeit und der Ästhetik in den Mittelpunkt der Sozialpsychologie und der politischen Ökonomie stelle.
Als ich nach Indien ging, war ich ein richtiger angehender Soziologe, aber immer noch daran interessiert, wie Menschen ästhetische Entscheidungen treffen. Es gibt verschiedene Kriterien, die Modekäufer abwägen müssen; Kunst versus Kommerz ist ein Beispiel dafür. Ich wollte dieses Gleichgewicht in der Praxis verstehen, aber am Ende entdeckte ich, dass ein viel größeres System am Werk ist. Einkäufer müssen Entscheidungen über diese großen Mengen von Lieferanten treffen, die in globalen Wertschöpfungsketten organisiert sind, und einige dieser Lieferanten sind sehr gut in dem, was sie tun.
In einer früheren Studie haben Sie für Ihre Forschung zur Auswahl von Models eine Ethnografie der Modewochen erstellt. Wie können wir Attraktivität messen?
Ich habe untersucht, wie Models für Modewochen zusammengestellt werden, indem ich selbst bei der Zusammenstellung geholfen habe. Um zu verstehen, was passiert, habe ich verschiedene Rollen im Prozess übernommen, unter anderem als Jurymitglied bei Modelcastings. Ich war überrascht, dass Produzenten und Designer die Attraktivität der Models nicht wirklich bewerteten. Attraktivität wird von Psychologen normalerweise anhand von Gesichtsmerkmalen definiert. Durchschnittliche Gesichter werden allgemein als attraktiv wahrgenommen; in der Forschung sind das aus verschiedenen Gesichtern zusammengesetzte Einheitsgesichter (composite faces), wie eine Studie zeigt.
In den Situationen, die ich untersucht habe, waren die Juroren an anderen Statusindikatoren interessiert, die beim professionellen Modeln zu Konventionen geworden sind. In der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit sind dies Größe, Körpergröße (sicherlich nicht zu groß, aber auch nicht zu schlank) und ein geschmeidiger Gang. Der Gang von Menschen variiert tatsächlich sehr, was auffällt, wenn man sich auf die Details konzentriert. Es ist einer der entscheidenden Faktoren, obwohl es so schwer ist, Unterschiede wahrzunehmen, weil der Gang mit dem Körper zusammenhängt und in unserer Wahrnehmung oft unbewusst abläuft. Eines meiner Ziele als Sozialpsychologe ist es, Indikatoren zu finden und eine genaue Sprache für die Funktionsweise der Wahrnehmung zu bilden.
Die Mode ist weltweit längst ähnlich geworden mit Hermès und Primark sowie Temu-Produkten an den entgegengesetzten Enden der Skala. Wie erklären Sie sich das?
In einer berühmten Szene aus dem Film „Der Teufel trägt Prada“, in der ein blauer Pullover die Hauptrolle spielt, spürt Meryl Streep in ihrer Rolle als Chefredakteurin einer Modezeitschrift der Farbe dieses billigen Pullovers nach, über Kaufhäuser, eine Gruppe von acht Designern, Yves Saint Laurent bis hin zu einer Kollektion von Oscar de la Renta. Die Szene erzählt, wie die Bewegung vom Luxus zu den Billigmarken führt, und erklärt, wie Trends durch die Hierarchie des Markensystems sickern. Obwohl die meisten Soziologen die Idee einer „Trickle-down“-Bewegung unter Modekonsumenten längst aufgegeben haben, finde ich, dass die über Meryl Streeps Rolle beschriebene Version im Grunde genommen richtig ist. Entscheidend ist, dass der Trickle-down-Effekt von oben nach unten auf dem Herstellermarkt stattfindet, innerhalb einer politischen Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Designer von Primark orientieren sich an der Markenhierarchie. Sie schauen, was Zara macht, und Zara schaut sich Emporio Armani an. Aber weder Zara noch Emporio Armani interessieren sich dafür, was Primark macht. Es gibt auch eine geografische Hierarchie. Trendprognosen und Bilder, die oft die Grundlage für Designinspirationen sind, überrepräsentieren die westlichen Modemetropolen New York, Paris, London und Mailand.
Viele Denker haben Studien zum Begriff Status – und zu seinen Ausdrucksformen – veröffentlicht. Die Mode hat sich in den vergangenen Jahren jedoch stark verändert. In vielen Städten wie Berlin ist sie viel lässiger geworden. Was sagt uns das über die Gesellschaft und über uns selbst?
Demokratisierung und Informalisierung, also die Veränderung von Umgangsformen, sind lange historische Prozesse. Randy Collins, der Betreuer meiner Promotion, hat sich das einmal angesehen und argumentiert, dass Veränderungen von den 1870er- bis 1950er-Jahren oft von der Oberschicht ausgingen, insbesondere durch den Sport. Ein Beispiel hierfür sind Pullover, die zuerst beim Golf getragen wurden. Auch der Abschied von den „getrennten Sphären“ zwischen Männern und Frauen hat eine große Rolle gespielt. In den 1920er-Jahren begann in den USA das Dating als neue Form der Partnersuche. Vorher hatte sich das Werben um Frauen zuhause abgespielt. Sexuelle Ausdrucksformen wurden damals sichtbarer, ebenso wie später in den 1960er- und 1970er-Jahren. Moden zur Formung des Körpers selbst sind seitdem immer wichtiger geworden: Pilates, Gewichtheben, Yoga, Diäten. Tätowierungen sind immer normaler geworden; sie sind nur noch bei Ganzkörper- oder Gesichtstattoos auffällig. Plastische Chirurgie wird in Amerika und Ostasien immer beliebter. Verabredungen sind in Deutschland im Vergleich zu den USA zwar weniger institutionalisiert, aber ich könnte mir vorstellen, dass Schwulen- und Jugendbewegungen einen ähnlichen Einfluss auf sexuelle Darstellungen hatten. Eine letzte Bemerkung: Die Covid-19-Pandemie ist nicht so sehr für die Informalisierung verantwortlich, wie die meisten Menschen denken, auch die meisten Menschen in der Modewelt. Sie hat sicherlich dazu beigetragen, aber das ist eine ziemlich einfache Antwort. Das ist einfach das Erste, woran die Leute denken.
Wie wird Ihre Forschung uns helfen, den globalen Arbeitsprozess und die transnationale Produktion von Status, Qualität und Wert zu verstehen?
Am WZB gehöre ich der Forschungsgruppe zu Globalisierung, Arbeit und Produktion an. Sie untersucht, wie sich die Arbeit inmitten der Wettbewerbsdynamik der Globalisierung verändert. Beispiel Mode: In den USA werden 97 Prozent der Kleidung importiert. Die meisten von uns gehen davon aus, dass sie in Ausbeuterbetrieben an weit entfernten Orten hergestellt wird, und haben mehr oder weniger aufgehört, darüber nachzudenken. Aber es geht nicht nur darum, dass es einfach ist oder ethisch bequem, das zu vergessen. Vielmehr nehmen wir an, dass wir die Abläufe kennen, so dass das Phänomen an sich nicht mehr interessant ist. Meine Arbeit greift die Industriesoziologie auf, die in den 1950er- bis 1960er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte, und belebt sie neu, indem ich erneut Feldforschung zur internationalen Arbeitsteilung betreibe, auch unter Managern. Ich stelle fest, dass sich einiges geändert hat. Am auffälligsten ist vielleicht, dass die Lieferanten in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens weitaus kompetenter und kreativer sind, als wir angenommen haben. In Indien gibt es nicht nur Schneiderei und Montage, sondern auch Modedesign. Marken wie Zara und Primark kommen nach Indien, um sich Designs zu holen, die die Lieferanten bereits für sie entworfen haben. Wenn wir also das Neueste der Saison tragen, könnte es nicht nur in der Ausführung, sondern auch in der Konzeption ein sehr globales Ding sein.
Alexander D. Hoppe ist Kohli-Stipendiat und Gastforscher in der Forschungsgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion am WZB. Er untersucht die Mikrofundamente des Kapitalismus mit besonderem Interesse an der Modebranche.
Literatur
Collins, Randall: „Four Theories of Informalization and How to Test Them“. In: Human Figurations, 2014, Jg. 3, H. 2. Online: http://hdl.handle.net/2027/spo.11217607.0003.207 (Stand 12.12.2024).
12.12.2024
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