Terrorismus und Kindersterblichkeit
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Terrorismus und Kindersterblichkeit? Daniel Meierrieks und Max Schaub zeigen mithilfe von Daten für 52 afrikanische Länder im Zeitraum 2000 bis 2017: Mehr Terrorismus führt zu mehr Kindersterblichkeit. Terrorismus wirkt nicht direkt durch Tod und Zerstörung auf die Kindersterblichkeit, sondern auf indirekte Weise, indem er zu Verhaltensänderungen bei Eltern und anderen Personengruppen führt, die sich um die Gesundheit von Kindern kümmern.
Seit Beginn der 2010er-Jahre ist der Terrorismus in vielen afrikanischen Ländern zu einer immer größeren Gefahr geworden. Während es zwischen 2001 und 2011 laut Daten der Global Terrorism Database (GTD) in Afrika jährlich rund 300 terroristische Attacken gab, stieg diese Zahl nach 2011 auf mehr als 2.000 pro Jahr. Dabei gehen die Anschläge zum einen auf militante separatistische Bewegungen zurück, zum Beispiel auf die „Oromo Liberation Front“ in Äthiopien oder die „Front for the Liberation of the Enclave of Cabinda“ in Angola. Zum anderen steht besonders der starke Anstieg des Terrorismus mit verstärkter islamistischer Militanz in Verbindung, zum Beispiel mit Gruppen wie „Al-Qaida in the Islamic Maghreb“ oder „Boko Haram“, die in verschiedenen Ländern Nord- und Westafrikas (z. B. Algerien, Mali, Nigeria, Niger und Tschad) aktiv sind.
Terrorismus wirkt sich negativ auf eine Reihe sozio-ökonomischer Variablen aus, wie Forschungsergebnisse zeigen. So führen terroristische Anschläge beispielsweise zu weniger ausländischen Direktinvestitionen, verstärkter Auswanderung, Kapitalflucht und niedrigerem Wirtschaftswachstum. Länder, die nur über begrenzte Ressourcen und schwache Institutionen verfügen, sind besonders verwundbar durch sozio-ökonomische Folgen von Terrorismus. Dies wiederum trifft auf den Großteil der Länder Afrikas zu. In einer neuen Studie haben wir die Forschungsagenda um eine weitere Dimension erweitert: die Auswirkungen von Terrorismus auf die Gesundheit, vor allem auf die Gesundheit von Kindern unter fünf Jahren – und damit auf die Kindersterblichkeit.
Zwei Perspektiven – direkte und indirekte Folgen - lassen sich aus theoretischer Sicht unterscheiden. Zum einen ist es möglich, dass sich Terrorismus direkt auf die Kindersterblichkeit auswirkt. Kinder können durch Anschläge verletzt oder getötet werden; ebenso können ihre Eltern oder Ärzte dem Terrorismus zum Opfer fallen. Zuletzt kann durch Terrorismus die Gesundheitsinfrastruktur wie Krankenhäuser und Apotheken beschädigt oder zerstört werden. Allerdings zeigt die empirische Literatur, dass die direkten Folgen terroristischer Anschläge auch im Vergleich zu anderen Formen politischer Gewalt eher gering sind.
Unser Interesse gilt daher auch indirekten Effekten von Terrorismus auf die Kindersterblichkeit. Damit sind Effekte gemeint, die sich aus Verhaltensänderungen ergeben – von Eltern (insbesondere Müttern), Ärzten, Entwicklungshelfern, Regierungsmitarbeitern und anderen Personengruppen, die für die Kindergesundheit von Bedeutung sind. Unsere Annahme ist, dass Terrorismus Angst vor zukünftiger Gewalt schürt und dass diese Angst Verhaltensänderungen auslöst, die sich negativ auf die Gesundheit von Kindern auswirken. In der Tat lebt der Terrorismus davon, durch Angst politischen Einfluss zu gewinnen. Es ist eine Vielzahl von Verhaltensänderungen denkbar, die sich ungünstig auf die Kindergesundheit auswirken können. Beispielsweise könnten Eltern aus Sorge vor Terrorismus den Gang zum Kinderarzt scheuen und so wichtige Vorbeugungsmaßnahmen (z. B. Impfungen) versäumen. Ärzte, medizinisches Personal und Entwicklungshelfer könnten von Terrorismus betroffene Gegenden meiden oder verlassen. Regierungsmitarbeiter könnten ohnehin knappe öffentliche Ressourcen verstärkt zur Terrorismusbekämpfung anstatt für die öffentliche Gesundheit verwenden.
Um den Zusammenhang von Terrorismus und Kindersterblichkeit empirisch zu untersuchen, verwendet unsere neue Studie Daten für den Zeitraum von 2000 bis 2017 für 52 afrikanische Länder. Wir ermitteln die Ausprägung von Terrorismus mit Daten der Global Terrorism Database. Die Daten zur Kindersterblichkeit, gemessen als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind vor Erreichen des fünften Lebensjahres stirbt, entnehmen wir einer 2019 im Magazin Nature veröffentlichten Studie eines Teams um den Forscher Roy Burstein. Sowohl die Daten zum Terrorismus als auch zur Kindersterblichkeit sind geokodiert, das heißt sie besitzen eine Ortsangabe (Längen- und Breitengrad), die für die Lokalisierung genutzt werden kann. Für unsere Analyse verwenden wir Rasterzellen mit Umfang 0,5° zu 0,5°, was am Äquator einer Zellgröße von 55 km2 entspricht. Durch Nutzung der jeweiligen Geokodierung können wir die Daten zu Terrorismus und Kindersterblichkeit einer bestimmten Rasterzelle zuordnen, was es uns wiederum erlaubt, den Zusammenhang von Terrorismus und Kindersterblichkeit auf subnationaler Ebene und mit großer Genauigkeit zu untersuchen.
Die Abbildung zeigt die Verteilung beider Phänomene in Afrika. Zum einen ist klar zu erkennen, dass es innerhalb Afrikas, aber auch innerhalb einzelner afrikanischer Staaten, große Unterschiede im Hinblick auf die Kindersterblichkeit gibt. Zum anderen zeigt die Karte auch die Regionen, die besonders häufig Ziele terroristischer Anschläge sind, zum Beispiel Teile Algeriens, Nigerias, Somalias, Ägyptens und Ugandas. Bereits auf der Karte lässt sich zudem erkennen, dass viele dieser besonders vom Terrorismus betroffenen Gebiete ebenfalls eine hohe Kindersterblichkeit aufweisen.
Abbildung: Terrorismus und Kindersterblichkeit in Afrika in Prozent, 2000-2017, Quellen: Global Terrorism Database und Burstein et al. (2019)
Dies spiegelt sich auch in unserer empirischen Untersuchung wider. Das zentrale Ergebnis unserer Analyse ist ein starker positiver Zusammenhang zwischen Terrorismus und Kindersterblichkeit. Dieser Zusammenhang ist robust gegenüber weiteren Untersuchungen. Beispielsweise können wir zeigen, dass die Berücksichtigung von größeren gewalttätigen Konflikten (z. B. Bürgerkriegen) nur einen geringen Einfluss auf die oben genannte Korrelation hat. Durch die Verwendung von aufwendigeren statistischen Verfahren können wir zudem Hinweise liefern, dass der Zusammenhang von Terrorismus und Kindersterblichkeit kausal gedeutet werden kann. Mit anderen Worten: Verstärkte terroristische Aktivität führt ursächlich zu höherer Kindersterblichkeit.
In einem nächsten Schritt berechnen wir, wie stark dieser Effekt ist, das heißt wie viele Kinder unter fünf Jahren infolge des zunehmendem Terrorismus sterben. Dazu errechnen wir, wie viele zusätzliche Opfer aus einem hypothetischen Anstieg der terroristischen Aktivität in Afrika resultieren würden. Bei einem angenommenen Anstieg des Terrorismus um 50 Prozent (ein solcher Anstieg ereignete sich in der Realität tatsächlich zwischen 2011 und 2012 sowie zwischen 2013 und 2014) zeigen unsere Modelle, dass konservativ gerechnet mit jährlich 16.000 bis 24.000 zusätzlichen toten Kindern unter fünf Jahren durch Terrorismus zu rechnen ist – allein in Afrika. Dies entspräche ungefähr der Kindersterblichkeit, die jährlich auf dem Kontinent auf Masern- oder Tetanusfälle zurückzuführen ist.
In einem letzten Schritt untersuchten wir, warum sich dieser Zusammenhang ergibt. Ist die erhöhte Kindersterblichkeit durch die direkten oder indirekten Effekte des Terrorismus zu erklären? Hier zeigt ein Blick auf die Daten der GTD zunächst, dass zwischen 2000 und 2017 insgesamt rund 80.000 Menschen (ungefähr 4.500 Menschen pro Jahr) durch Terrorismus getötet wurden. Bei durchschnittlich 36 Millionen Geburten in Afrika pro Jahr ist es demnach unplausibel, dass die Kindersterblichkeit direkt durch diese direkten Anschlagsopfer ansteigt, insbesondere da sich viele terroristische Angriffe gegen Sicherheitskräfte (Polizei und Militär) richten. Zudem zeigen die Daten der GTD auch, dass die Gesundheitsinfrastruktur äußerst selten Ziel terroristischer Attacken ist.
Wahrscheinlicher ist, dass der Zusammenhang ein indirekter ist. Aus diesem Grund untersuchten wir auch die Korrelation zwischen Terrorismus und verschiedenen unmittelbaren Ursachen von Kindersterblichkeit. Zu letztgenannten Ursachen gehören die Häufigkeit von Malaria und Durchfallerkrankungen, Unterernährung und Impfraten. Wir können zeigen, dass ein Anstieg von terroristischen Anschlägen mit einem Anstieg der Malaria- und Durchfallerkrankungen, stärkerer Unterernährung und niedrigeren Impfraten in Zusammenhang steht. Diese Zusammenhänge sehen wir als Hinweis darauf, dass Personengruppen, die für die Kindergesundheit von Bedeutung sind, in der Tat ihr Verhalten ändern, wenn eine terroristische Bedrohung vorliegt. Beispielsweise könnte sich die negative Korrelation von Terrorismus und Impfraten dadurch ergeben, dass Eltern aus Angst vor Terrorismus den Gang zum Kinderarzt oder zur Impfstation vermeiden. Niedrigere Impfraten (wie auch ein Anstieg von Malaria- und Diarrhö-Fällen sowie von Unterernährung) führen dann zu höherer Kindersterblichkeit.
Zusammenfassend zeigt unsere Studie, dass sich die Zunahme des Terrorismus in Afrika in den letzten Jahren auch auf die Kindersterblichkeit ausgewirkt hat. Mehr Terrorismus bedeutet mehr Kindersterblichkeit. Dabei deuten unsere Befunde darauf hin, dass Terrorismus die Kindersterblichkeit nicht direkt (d. h. durch Tod und Zerstörung), sondern indirekt beeinflusst (d. h. indem er das Verhalten von Personengruppen verändert, die für die Gesundheit von Kindern relevant sind). Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus in Afrika auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern hätte. Gleichzeitig könnte die Politik durch Aufklärungs- und Informationskampagnen versuchen, terrorismusbedingte Verhaltensänderungen zu reduzieren, um die indirekten Auswirkungen des Terrorismus auf die Kindersterblichkeit zu verringern.
Literatur
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Meierrieks, Daniel/Schaub, Max: „Terrorism and Child Mortality“. In: Health Economics, 2024, Jg. 33, H. 1, S. 21-40. DOI: 10.1002/hec.4757.
Wagner, Zachary/Heft-Neal, Sam/Bhutta, Zulfiqar A./et al.: „Armed Conflict and Child Mortality in Africa: A Geospatial Analysis“. In: The Lancet, 2018, Jg. 392, H. 10150, S. 857–865. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)31437-5.
4.6.2024
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Bildunterschrift: Ein belebter Spielplatz im Friedensgarten in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, am 23. Februar 2024.