Schweine hinter Gittern auf einem LKW
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Die Fleischindustrie und Corona

Ein Beitrag von Jana Friedrichsen

Das Problem der prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von Erntehelfern aus Mittel- und Osteuropa erreichte die Öffentlichkeit schnell. Denn Anfang April waren die Hilfskräfte noch nicht eingereist und aufgrund der coronabedingten Grenzschließungen war unklar, ob und wie dies überhaupt möglich wäre. Zu diesem Zeitpunkt lief die Fleischindustrie noch unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das änderte sich schlagartig, als vor drei Wochen die Infektionszahlen im fleischverarbeitenden Gewerbe auffällig anstiegen, erste Schlachthöfe schließen mussten und Landkreise aufgrund dieser lokalen Infektionsherde die Obergrenze der Neuinfektionen überschritten.

Als Reaktion auf Häufungen von SARS-CoV-2-Infektionen in der Fleischwirtschaft hat die Bundesregierung nun beschlossen, ab 2021 Werkverträge und Leiharbeit beim Schlachten und der Verarbeitung von Fleisch deutlich einzuschränken. Viele der Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen, derzeit gang und gäbe in der industriellen Fleischproduktion, wären dann nicht mehr zulässig. Für handwerklich arbeitende Fleischereibetriebe sollen Ausnahmen gelten. Diese Weiterentwicklung der Regulierung der Fleischwirtschaft ist begrüßenswert und überfällig.

Schon vor der Corona-Krise war die Situation der Beschäftigten in der Fleischwirtschaft beklagenswert. Die Fleischindustrie setzt in großer Zahl Arbeitskräfte aus Mittel-und Osteuropa ein, die über Subunternehmer mit Werkverträgen oder als Leiharbeiter beschäftigt werden. Dies hebelt die Mitbestimmung aus und erschwert die Durchsetzung und Kontrolle von Arbeitsrecht und -schutz. Erst im vergangenen Jahr hat die Arbeitsschutzverwaltung in Nordrhein-Westfalen bei einer Überprüfung von 30 Großbetrieben der Schlachtung und Fleischverarbeitung mit insgesamt etwa 17.000 Beschäftigten in mehr als 26 Betrieben über 8.700 teils schwere Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften festgestellt. 12-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit und wer krank wird, muss mit Kündigung rechnen. Der formal geltende Mindestlohn wird teilweise durch Abzüge für Kost und Logis vermindert. Häufig wohnen Beschäftigte der Subunternehmen auf engem Raum und in teils heruntergekommenen Massenunterkünften. Dass sich hier viele Kollegen anstecken, wenn einer erkrankt, verwundert nicht.

Die derzeitige Aufmerksamkeit sollten wir nutzen, um über die Vorteile einer stärkeren Regulierung der Fleischwirtschaft nachzudenken. Frühere Gesetzesinitiativen und Selbstverpflichtungen erzielten weder eine breite Sichtbarkeit noch die gewünschte Wirkung. Einzelne Vorstöße für bessere Produktionsbedingungen führten eher zu einer Produktdifferenzierung in einem stark umkämpften Markt. Die Bemühungen um eine Tierwohlkennzeichnung sind hierfür beispielhaft. Denn die Verbraucher geben zwar an, sich für Haltung und Herstellung zu interessieren, schauen aber am Ende doch vor allem auf den Preis. Daher ist konsequente Regulierung notwendig.

Bestehende Vorgaben zu Mindestlohn und Arbeitsschutz müssen strenger kontrolliert und Verletzungen sanktioniert werden. Zudem sollten verbindliche Mindeststandards für die Arbeiterunterkünfte etabliert werden. Die Eindämmung des Subunternehmertums ist ein weiterer wichtiger Schritt, weil sie die Transparenz der Beschäftigungsverhältnisse und der Verantwortlichkeiten verbessert.  Da Fleisch auch international gehandelt wird und knapp 20 Prozent der deutschen Schweinefleischproduktion ins Ausland verkauft werden, könnten nachteilige Wettbewerbseffekte für die hier ansässigen Konzerne auftreten, die dann möglicherweise überlegen, in Länder mit geringeren Arbeitsstandards abzuwandern. Dem könnte eine einheitliche europäische Lösung wie bei der Lebensmittelhygiene, die ebenfalls Schlachtbetriebe betrifft, entgegenwirken.

Wenn Arbeitsschutz und Mindestlohn wirksam durchgesetzt werden und die Unternehmen auch bei der Unterbringung von Werksmitarbeitern höhere Standards erfüllen, werden absehbar die Produktionskosten und damit auch die Verbraucherpreise für Fleisch und Fleischprodukte steigen. Dies könnte eine gesellschaftliche Entwicklung zu nachhaltigerem Konsum unterstützen, die sich in Deutschland in den vergangenen Jahren sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in Form eines leicht rückläufigen Fleischkonsums zeigt. Von verbesserten Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft könnten wir indirekt alle profitieren, da weniger Fleischkonsum positive Wirkungen auf Klima und Gesundheit zugeschrieben werden. Nicht zuletzt könnte eine Reduzierung der weltweiten industriellen Fleischproduktion auch das Risiko weiterer Virusausbrüche verringern – solcher, die in der Tierwelt bleiben wie die Schweinepest oder die Vogelgrippe, und solcher, die auf den Menschen übergehen und möglicherweise erneut eine Pandemie auslösen würden.

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28.05.2020