Wahlkabine
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Lange Arbeitszeiten und Wahlbeteiligung

Wie wirken sich lange und sozialunverträgliche Arbeitszeiten auf die politische Beteiligung aus? Ein Forscherteam hat das für 24 europäische Länder untersucht.

Für die Studie werteten die Forschenden die Wahlbeteiligung bei nationalen Wahlen vor und im Jahr 2010 aus. Ihre Analyse zeigt: Wer mehr als 45 Stunden pro Woche, abends, nachts oder am Wochenende arbeitet, geht seltener wählen.

Unter langen und sozialunverträglichen Arbeitszeiten leidet vor allem die politische Beteiligung von Frauen. Diesen negativen Effekt konnten die Forschenden bei Frauen in Berufsgruppen mit hohem und niedrigem Status feststellen: von Verkäuferinnen, Dienstleistern und Büroangestellten bis hin zu zur Führungskraft und hochrangigen Fachkräften. Der stärkste Effekt konnte bei Frauen gefunden werden, die im Bereich Bürotätigkeiten / Service / Verkauf arbeiten. Für diese reduzieren lange Arbeitszeiten (mehr als 45 Stunden pro Woche) die Wahlwahrscheinlichkeit ganze 12 Prozent. Das Ausmaß dieses negativen Effekts liegt nahe an der Effektgröße der beiden bekannten und stärksten Prädiktoren für die Wahlbeteiligung in der Wahlforschung, nämlich dem politischen Interesse und der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei: jeder dieser Faktoren reduziert die Beteiligung um bis zu 15 Prozent.

Bei Männern gilt der negative Zusammenhang zwischen langen und sozialunverträglichen Arbeitszeiten und der Wahlbeteiligung nur für jene mit dem niedrigsten beruflichen Status, wie Bediener, Monteure und einfache Arbeiter.

Als mögliche Ursache dieser geschlechtsspezifischen Unterschiede nennen die Autor*innen das in der Forschung bekannte Phänomen der „zweiten Schicht“: Frauen übernehmen einen Großteil der unbezahlten Sorgearbeit, wodurch ihnen weniger Zeit als Männern bleibt – etwa  für die politische Beteiligung. Die Forschenden haben auch Mechanismen in den Blick genommen, durch die lange und sozialunverträgliche Arbeitszeiten die Wahlbeteiligung senken. So verringern solche Arbeitszeiten etwa die Aufmerksamkeit, die Beschäftigte politischen Themen widmen können.

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22.12.22, CR

Die Studie von Jianghong Li, Heiko Giebler, Rebecca Wetter, Hannah Kenyon Lair, und Julia Ellingwood "Unequal electoral participation: the negative effects of long work hours and unsociable work schedules in Europe" ist im European Journal of Politics and Gender erschienen.