Läuferin auf dem Tempelhofer Feld joggt der Sonne entgegen
Joerg Brueggemann / OSTKREUZ

Welchen Preis hat die Freiheit?

Über liberales Denken in Zeiten des Klimawandels

Ausgehend von Überlegungen, ob liberale Freiheit einen Preis hat, wendet Michael Zürn sich in seinem Essay zwei vieldiskutierten theoretischen Freiheitsmodellen zu: der positiven und der negativen Freiheit. Was bedeutet das liberale Freiheitsverständnis für das liberale Denken in Zeiten des Klimawandels? Welche Auswirkungen hat es auf die politische Praxis der liberal-demokratischen Gesellschaften?

Es ist nun gut 15 Jahre her, dass ich bei einem Mittagessen mit Lord Dahrendorf über das Verhältnis von Liberalismus und Klimawandel sprach. Eine Formulierung von ihm hat sich in meinem Gedächtnis als Zitat eingebrannt: „Lieber sterbe ich als freier Mensch, als dass ich als unfreier lebe.“ Das nennt man wohl Prinzipientreue. Die Antwort auf die im Titel gestellte Frage, die dem Dahrendorf’schen Satz zugrunde liegt, ist jedenfalls klar und konzise. Die Freiheit hat keinen Preis. Sie ist unbezahlbar.

Welcher Freiheitsbegriff liegt dem zugrunde? Ralf Dahrendorf war einer der herausragenden liberalen Denker des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich ist der Liberalismus schon etymologisch, aber auch genealogisch die Theorie, die die Freiheit ins Zentrum der Überlegungen stellt. Dabei setzt sie die Abwesenheit von Fremdbestimmung, insbesondere die Freiheit vor dem von Anderen ausgeübten Zwang, ins Zentrum des liberalen Freiheitsbegriffs. Das zeigt auch die prägende Unterscheidung von Isaiah Berlin – ein weiterer großer Liberaler des 20. Jahrhunderts –, die er 1958 in seiner Oxforder Antrittsvorlesung einführte: die zwischen negativer und positiver Freiheit. Bei der negativen Freiheit geht es um das äußere Verhältnis zu anderen Menschen und staatlichen Institutionen. Es geht – um eine Formulierung von Gerald MacCullum aufzugreifen – um die Freiheit von jemandem. Die positive Freiheit meint hingegen die Freiheit von etwas, um etwas tun zu können. Positive Freiheit verweist also nicht nur auf die Beschränkung durch andere, sondern auch auf innere Zwänge, das Fehlen von Bildung und Kompetenzen sowie das Fehlen von Ressourcen, die notwendig sind, um etwas zu tun.

Zwar klingt es bei Isaiah Berlin zunächst so, als sei die Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit eine Unterscheidung zwischen zwei gleichwertigen Aspekten eines umfassenden Begriffs. Aber Berlin machte deutlich, dass er eine Rangordnung zwischen negativer und positiver Freiheit sieht. Die negative Freiheit ist grundlegend, und in den politischen Entwicklungen zur Stärkung der positiven Freiheit in seiner Zeit – insbesondere dem Aufbau eines Wohlfahrtsstaats und dem Ausbau der Daseinsfürsorge – sah er gar eine gewisse Gefahr freiheitsverletzenden Handelns. Denn die (negative) Freiheit des Einzelnen dürfe nicht dem abstraktiven Kollektivgut (gleiche Bildung und Ressourcen für alle) untergeordnet werden. Während die Wahrnehmung negativer Freiheit selbstbestimmt ist, erfordert die positive Freiheit eine Einigung eines Kollektivs darüber, was gut und richtig ist. Damit erlangt sie einen paternalistischen Zug, weil die Gemeinschaft dem Einzelnen vorschreibt, was praktisch gut und richtig ist. Nach Berlins Auffassung wird die Befähigung, etwas tun zu können, bedeutungslos, wenn es die Freiheit zur freien Entscheidung nicht gibt. Die negative Freiheit sei zwar nicht alles, ohne sie werde aber alles andere unerreichbar. In dieser Logik ist die Freiheit von äußerem Zwang vorrangig. Selbst John Rawls hat in seiner Gerechtigkeitstheorie das Prinzip der Freiheit vor sein Differenzprinzip (Gleichheitsorientierung) gestellt – allerdings aus anderen Gründen. Dieser negative Freiheitsbegriff scheint auch dem Bonmot von Dahrendorf zugrunde zu liegen. Ohne die Freiheit vor äußeren Zwängen verliert das Leben seinen Wert. Freiheit kann nicht eingetauscht werden, daher hat sie keinen Preis.

Dahrendorf war aber ein Vordenker sozialliberalen Denkens. Er steht damit wie John Rawls und Bernard Williams auf der Seite liberaler Denker, die eine einseitige Orientierung zugunsten der negativen Freiheit ablehnen und einen umfassenden Freiheitsbegriff entwickeln. Das Freiheitsverständnis, wonach der Einzelne tun und lassen kann, was er will, ohne dass ihn andere mit Zwang daran hindern, bezeichnet Bernard Williams in durchaus polemischer Absicht als „primitive Freiheit“. Der liberale Freiheitsbegriff müsse demgegenüber politisch sein und notwendigerweise beinhalten, dass die Freiheit des Einen dort aufhört, wo sie die Freiheit der Anderen einschränkt. Und diese Grenze kann nicht vom Einzelnen, sondern muss von der liberalen Gesellschaft, also im Ideal der Gesellschaft der Freien und der Gleichen gemeinsam bestimmt werden. In dieser Sicht ist die individuelle Freiheit so eng mit einer freiheitsermöglichenden und –maximierenden gesellschaftlichen Struktur verbunden, dass die Priorisierung der negativen Freiheit gegenüber der positiven Freiheit hinfällig wird. Es wird ein umfassender Freiheitsbegriff notwendig. Natürlich müssen dabei die gesellschaftlichen Strukturen so gestaltet werden, dass das Prinzip der Selbstbestimmung erhalten bleibt. Die demokratische Mitwirkungsmöglichkeit soll daher dafür sorgen, dass die Schranken der negativen Freiheit selbstbestimmt errichtet werden. Demokratie ist genau in diesem Sinne die Herrschaft des Volkes über sich selbst; die gesellschaftlich notwendigen Beschränkungen der Freiheit des Einzelnen dienen dann der gleichen Verwirklichung von Freiheit von allen Mitgliedern einer Gesellschaft. Im Ergebnis bleibt auch in diesem umfassenden Freiheitsverständnis der Preis der Freiheit unbestimmt. Denn die möglichen Kosten für die Freiheit des Einzelnen fallen für die Freiheit der Anderen an. Freiheitsaspekte werden in solchen Entscheidungen gegeneinander abgewogen, nicht aber die Freiheit mit anderen Gütern. Freiheit kann nur gegen Freiheit eingetauscht werden. Freiheit bleibt ohne Preis, weil sie nicht austauschbar mit anderen Werten ist.

In dieser umfassenden liberalen Konzeption von Freiheit bleibt der eingangs zitierte Satz von Dahrendorf normativ rätselhaft. Es ist ja gerade die Aufgabe einer freiheitsermöglichenden Gesellschaft, dass die Bedingungen der Freiheit – und dazu zählt ein bewohnbares Ökosystem – bereitgestellt werden. Wer aufgrund der Klimaerwärmung nicht mehr leben kann, erlebt die höchste denkbare Form der äußeren Einschränkung seiner Freiheit durch andere Menschen. Die Orientierung an der negativen Freiheit erfordert eine ökologische Gesellschaft, die Menschen mit der positiven Freiheit versieht, so zu handeln, dass das Ökosystem keinen irreparablen Schaden nimmt. Das Überleben und die Freiheit werden eins, das Sterben und die Unfreiheit auch.

Soweit die liberale Theorie. Jetzt kommt die politische Praxis der liberal-demokratischen Gesellschaften ins Spiel. Wenn aufgrund von politischen Blockaden, Machtverzerrungen und der mangelnden Klugheit der Menschen die demokratische Entscheidungsfindung in der Praxis zu Entscheidungen führt, die die Umwelt zerstören, dann gefährdet dies entweder das Überleben der Menschen, oder es macht die Abschaffung des politischen Systems notwendig. Und dann steht man tatsächlich genau vor der spannungsgeladenen Alternative, die Dahrendorf zugunsten der liberalen Demokratie aufgelöst hat. Lieber lebt er in einer dem Untergang geweihten freien und demokratischen Gesellschaft als in jeder Form des freiheitsberaubenden Autoritarismus. Das ist eine nachvollziehbare Position, die freilich mit der Zunahme von klimabedingten Katastrophen bedrohlicher wird. Was bei meinem Gespräch mit Lord Dahrendorf noch abstrakt und in weiter Ferne lag, ist heute viel näher gerückt. Auch heute noch fällt eine solche Positionierung älteren Männern leichter als jungen Menschen, die auch in 50 Jahren auf einem wirtlichen Planeten leben wollen. Die Position wird aber auch heute noch im Kern von den jungen Autorinnen und Autoren geteilt, die wie jüngst Jonas Schaible argumentieren, dass wir die Klimakatastrophe nur mithilfe unserer liberal-demokratischen Systeme verhindern können und müssen. Die autoritären politischen Systeme würden nämlich in der Klimapolitik viel schlechter als die Demokratie abschneiden. Demokratie ist demnach auch klimapolitisch alternativlos. Und wieder hat die Freiheit kein Preisschild. Wir tauschen sie in dieser Sicht auch dann nicht ein, wenn sie nicht mehr recht funktioniert und unseren Lebensraum gefährdet – und zwar, weil die Alternative noch schlechter ist. Da scheint dann Churchill mit seinem Aphorismus von der Demokratie als der schlechtesten Regierungsform except for all others durch.

Eine so verstandene Interpretation des Dahrendorf’schen Satzes überzeugt aber nur bedingt. Zum einen setzt sie das ideale Konzept der Freiheit mit dem konkreten Leben in unserer liberal-demokratischen Gesellschaft gleich. All diejenigen, die in unserer Gesellschaft täglich der Macht- und Herrschaftsausübung durch Andere ausgesetzt sind, würden dem wohl widersprechen. Die Position beruht auf der nicht zuletzt von US-Präsident Joe Biden wiederbelebten Dichotomie von demokratischen und autoritären politischen Systemen. Ein anderes politisches System als die liberale Demokratie, wie wir sie heute kennen, ist jedoch nicht – wie diese Dichotomie nahelegt – notwendigerweise autoritär. Es könnte sehr wohl auch stärker dem normativen Ideal der Gesellschaft der Freien und Gleichen näherkommen. Es könnte eine Gesellschaft sein, die vorhandene Privilegien bei der Nutzung der Umwelt einschränkt; es könnte eine Gesellschaft sein, die das ökologische Überleben genauso vor den Unwägbarkeiten der Mehrheitsmeinung schützt, wie wir das heute schon mit den Individualrechten machen; es könnte auch eine Gesellschaft sein, in der die starke Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zum Schutz der Umwelt beiträgt – eine solche Gesellschaft muss aber weder undemokratisch noch unfrei sein. Sie könnte auch demokratischer und freiheitsmaximierender sein als die, in der wir heute leben. Dann bleibt die umfassend verstandene Freiheit auch das höchste Gut, das nicht bepreist werden kann. Die Frage nach dem Preis der Freiheit stellt sich nur dann als Frage, wenn wir glauben, dass der politische und unökologische Status quo ein Höchstmaß an Freiheit bietet. Dann könnte sich freilich der Preis der Freiheit als schreckenerregend hoch erweisen.

Literatur

Berlin, Isaiah: Four Essays on Liberty. Oxford: Oxford University Press 1969.

Dahrendorf, Ralf: Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart. München Piper 1961.

Özmen, Elif: Was ist Liberalismus? Berlin: Suhrkamp 2023.

Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Berlin: Suhrkamp 1975.

Schaible, Jonas: Demokratie im Feuer. München: DVA 2022.

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21.9.2023

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