Das Recht auf Schutz vor Gewalt
WZB-Forschung untersucht die gesellschaftliche Relevanz juristischer Ansprüche
Jede vierte Frau ist einmal im Leben von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner betroffen – das schreibt das Bundesfamilienministerium in einer Hintergrundinformation im Juni 2024. Bereits 2002 trat das sogenannte Gewaltschutzgesetz in Kraft, das von partnerschaftlicher Gewalt und Stalking Betroffenen schnellen und niedrigschwelligen Schutz gewährleisten soll. Die im Gesetz vorgesehenen Kontakt- und Näherungsverbote sowie Wohnungszuweisungen, die auf Antrag vom Gericht erlassen werden können, sollen es ermöglichen, dass Gewaltbetroffene ihr Leben in Sicherheit weiterleben können − ohne ihre Nummer wechseln, ihre Wege ändern oder in eine Schutzunterkunft fliehen zu müssen. In der Realität gibt es für viele Menschen jedoch verschiedene Hindernisse, das Gewaltschutzgesetz in Anspruch zu nehmen. Und auch wenn sie eine Gewaltschutzanordnung erwirken konnten, führt dies nicht zwingend zum Ende der Gewalt. Woran das liegt und wo Schwachstellen der Rechtspraxis rund um das Gesetz bestehen, erforscht die Rechtssoziologin Paula Edling seit Anfang des Jahres am WZB. Gemeinsam mit Michael Wrase leitet sie das Projekt „Zugang zum Recht auf Gewaltschutz“.
In Paula Edlings Promotionsprojekt geht es darum, das Gesetz rechtssoziologisch aufzubereiten – es also mit den Erfahrungen der Betroffenen in Beziehung zu setzen. Hierfür zieht sie nicht nur Gerichtsakten und statistische Verfahrensdaten heran, sondern führt Interviews mit Beratungsstellen, Rechtsanwält*innen und Betroffenen selbst.
Ein wichtiger Fokus des Forschungsprojekts sei es, so erklärt Paula Edling, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und Blickwinkel auf das Thema zu produzieren, die den rechtspolitischen Diskurs um Gewaltschutz voranbringen – dies gehe nur im Dialog mit Akteur*innen der Sozialen Arbeit, Beratung und Rechtspflege, die sich zum Teil seit Jahrzehnten für einen verbesserten Rechtsschutz und verpflichtende Fortbildungen für Justizbeamte einsetzen. Ziel ist es, aus den Auswertungen der umfangreichen empirischen Forschung ein Policy Paper mit Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Gefördert wird das Projekt am WZB von der CMS Stiftung, die sich für den Zugang zum Recht für alle einsetzt. Es sei ein Novum für die seit neun Jahren bestehende Stiftung, dass sie ein Wissenschaftsprojekt fördere, erklärt Stefanie Wismeth, Leiterin der Geschäftsstelle der Stiftung. Zum Zugang zum Recht, insbesondere zum Zugang zum Recht auf Gewaltschutz, gebe es in Deutschland kaum aktuelle Forschungsprojekte.
Zentral für die Forschungsgruppe „Recht und Steuerung im Kontext sozialer Ungleichheiten“, in der das Projekt angesiedelt ist, ist die Frage, wie Recht in der und in die Gesellschaft wirkt. In einem oft vorherrschenden engen Verständnis von Rechtswissenschaft gehe es meist nur darum, wie Recht ausgelegt und angewandt wird, sagt Forschungsgruppenleiter Michael Wrase. Mindestens so bedeutsam seien aber rechtssoziologische Fragestellungen, die untersuchen, welchen Einfluss Recht auf das Verhalten von Menschen hat.
Bevor die WZB-Rechtssoziolog*innen den Zugang zum Recht auf Gewaltschutz in den Blick nahmen, setzte sich das Projekt in der ersten Förderphase mit Verbraucher- und Mietrecht in Berlin auseinander – dabei wurden bereits über 100.000 Verfahren an Berliner Amtsgerichten ausgewertet. Eine Publikation zu bisherigen Forschungsergebnissen aus dem Projekt erscheint Anfang 2025.