Wie die extreme Rechte die Politik der Mitte beeinflusst
Wie tragen Parteien der Mitte in westlichen Demokratien zur Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut und Themen bei? Ganz erheblich – wie die jüngste Studie der WZB-Forschenden Teresa Völker und Daniel Saldivia Gonzatti zeigt.
In ihrer Arbeit Far-right agenda setting: How the far right influences the political mainstream untersuchen Völker und Saldivia Gonzatti, wie und unter welchen Bedingungen Akteure der extremen Rechten die Kommunikation der demokratischen Parteien („Mainstream‑Parteien“) in Deutschland im Zeitraum ab den 1990er Jahren beeinflussen.
Ziel ist es, zu verstehen, wie Themen, die von der radikalen und extremen Rechten gesetzt werden, in Debatten der demokratischen Parteien und damit im öffentlichen Diskurs an Bedeutung gewinnen – ein Prozess, den Teresa Völker und Daniel Saldivia Gonzatti als „diskursives Mainstreaming“ der extremen Rechten bezeichnen. Der Begriff meint den schrittweisen Prozess, durch den Ideen der extremen Rechten – nativistisch, ausgrenzend, autoritär – zunehmend Sichtbarkeit, Resonanz und Legitimität in der Öffentlichkeit gewinnen. Mit „Agenda‑Setting“ wiederum ist die wechselseitige Beeinflussung von Massenmedien und politischen Akteuren gemeint und in deren Folge die Wahrnehmung und Diskussion bestimmter Themen in der Öffentlichkeit. In ihrer Arbeit stellen die Autor*innen vier Hypothesen auf:
-
Die Themen‑Agenden extremer rechter Akteure und etablierter Parteien nähern sich über die Zeit an.
-
Die Themen‑Schwerpunkte rechtsradikaler und rechtsextremer Akteure sagen jene der etablierten Parteien voraus.
-
Der Einfluss rechtsradikaler und rechtsextremer Akteure ist stärker bei rechts-konservativen Parteien als bei links-progressiven Parteien.
-
Der Einfluss ist stärker bei Oppositionsparteien im Vergleich zu Regierungsparteien.
Datengrundlage ihrer Arbeit sind über 520.000 Zeitungsartikel aus sechs deutschen Zeitungen (Printversion) zwischen 1994 und 2021, die über kulturelle Debatten (z. B. zu Migration, Islam, Integration) berichten. Unter „demokratische Parteien“ werden u. a. CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke gefasst. Für „äußerste Rechte“ wurden Parteien, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und gewaltorientierte Gruppen erfasst, die sowohl rechtsradikal als auch rechtsextrem sind.
Agenda-Setting-Effekt wirkt über alle Parteifamilien hinweg
Die Befunde zeigen eine zunehmende Konvergenz der Themen‑Agenden der äußersten Rechten und etablierter Parteien. Vor allem bei den Themen Migration, Islam und Integration näherten sich die Akteursgruppen an. Weiterhin hat der Einfluss der äußersten Rechten auf die öffentliche Kommunikation etablierter Parteien über die Zeit zugenommen. Das gilt für die genannten Themen und mit Blick auf Oppositionsparteien. Dabei gilt dieser „Agenda‑Setting‑Effekt“ – also wie sehr die etablierten Parteien die Themen der äußersten Rechten übernehmen – über alle Parteifamilien hinweg und nicht nur für rechtskonservative Parteien. Jedoch wirkt sich der Effekt bei Oppositionsparteien stärker als bei Regierungsparteien aus.
Rolle als Themensetzer erfordert Verantwortung
Völker und Saldivia Gonzatti legen dar, dass nicht nur politische Koalitionen oder Allianzen zwischen demokratischen Parteien und radikalen Parteien, sondern auch kommunikative Prozesse relevant dafür sind, wie Themen der extremen Rechten Eingang in die öffentliche Debatte finden. Dies unterstreicht die Bedeutung von Massenmedien und öffentlichen Debatten als Arena, in der die extreme Rechte ihre Themen platzieren kann – und etablierte Parteien darauf reagieren. Für die Demokratie bedeutet das: Wenn etablierte Parteien Themen, die früher als Randthemen einer extremen Rechten galten, übernehmen und auf rechtsextreme Agenda-Setzung reagieren, besteht die Gefahr einer Normalisierung dieser Themen und eine Verschiebung des öffentlichen Diskurses. Für Wahlkämpfe, Medienstrategien und politische Kommunikation bedeutet das wiederum, dass Parteien verantwortungsvoll mit ihrer Rolle als Themensetzer umgehen sollten und die Auswirkungen ihrer Kommunikation auf das Erstarken der äußersten Rechten mitdenken sollten.
27.10.25, EHA