European Corporate Governance
Dieses Projekt beschäftigt sich vorwiegend mit dem neu entstehenden europäischen System der Corporate Governance. Dieses aktuelle „Feldexperiment“ stellt eine einzigartige Gelegenheit dar, den komplexen Prozess des Aufbaus eines neuen Corporate Governance-Systems einschließlich einer Neuzusammenstellung der Beziehungen zwischen den Stakeholdern zu beobachten. Folgende Schlüsselfragen werden hierbei behandelt:
- Welche politischen Koalitionen haben die Verabschiedung von wichtigen Direktiven im Bereich des Unternehmensrechts, der industriellen Beziehungen und der Regulierung des Finanzmarkts unterstützt?
- Ist es möglich, ein spezifisch europäisches System der Corporate Governance zu identifizieren, oder bleibt Europa eine Ansammlung von nationalen Corporate Governance-Regimes?
- Welche Rolle spielt das Mitspracherecht der Beschäftigten ("worker voice") mithilfe des Unternehmensrechts und des Systems der industriellen Beziehungen in diesem neu entstehenden System? Und:
- Welchen Einfluss haben diese Direktiven auf die Unternehmenspraxis?
Die bisherige Beobachtung dieses neu entstehenden Systems ermöglicht es, einige forschungsleitende Hypothesen zu formulieren:
- Die vorliegenden Typologien von Corporate Governance-Systemen, die entweder dualistisch sind („Insider-“ versus „Outsider“-System) oder auf der Grundlage von drei Kategorien operieren (angelsächsische, rheinländische und mediterrane Systeme), sind nicht hinreichend adäquat, um die Komplexität des Prozesses zu erfassen. Insbesondere müssen zumindest zwei Dimensionen einbezogen werden: eine für den Einfluss des Mitspracherechts („voice“) von Eigentümern (die Kapitalseite) und eine andere für die Beschäftigten (die Arbeitsseite) in der Corporate Governance. Ferner sollten diese Dimensionen eher als ein Kontinuum des Einflusses von Mitspracherechten konzeptionalisiert werden und nicht als distinkte Gleichgewichtszustände.
- Das Erfordernis einer analytischen Trennung der Dimensionen „Kapital“ und „Arbeit“ wird deutlicher, wenn man die Beschaffenheit der Europäischen Rechtsprechung zur Corporate Governance untersucht. Auf der einen Seite zeigen Direktiven, die die Kapitalseite betreffen (z.B. Transparenz und Rechnungslegung, die Regulierung von Investmentfonds etc.), eine klare Bewegung in Richtung auf den angelsächsischen Kapitalmarkttyp, die in einer Verschiebung der Macht von großen „Insider“-Aktionären zu institutionellen „Outsider“-Investoren resultiert, die kleinere Anteile halten. Auf der anderen Seite unterstützen Direktiven, die Beteiligungsrechte von Beschäftigten betreffen (z.B. European Works Councils directive, directive on Information and Consultation in member states etc.), ein moderates Niveau an Mitspracherechten für Beschäftigte in Unternehmen, und zwar in der Form von Informations- und Konsultationssrechten, die „zwischen“ dem angelsächsischen System (in dem Beschäftigte kaum oder nur geringe Mitspracherechte haben) und Ländern wie Deutschland, Schweden und Norwegen angesiedelt sind, in denen Beschäftigte starke Mitbestimmungsrechte haben (d.h. die Kapazität, Managemententscheidungen zu blockieren).
- Das neu entstehende europäische System reproduziert weder ein existierendes nationales System, noch folgt es einer „pfadunabhängigen“ Logik in konstruktivistischer Manier.
- Zu den entscheidenden Akteuren für die politischen/regulierenden Aspekte des Europäischen Corporate Governance Systems zählen: Nationalstaaten, die Europäische Kommission und Akteure auf der europäischen Ebene wie der Europäische Gewerkschaftsbund.
Das Projekt wird teilweise von der Europäischen Kommission finanziert im Rahmen eines Collaborative Project in Zusammenarbeit mit Projektpartnern aus Frankreich, England, Italien, Irland und Ungarn sowie mit der WZB-Forschungsgruppe „Wissen, Produktionssysteme und Arbeit"